Morgens um acht mussten wir uns im Hotel „Metropol“ einfinden, von wo aus der Bus nach Viñales startete. Obwohl die Distanz nicht einmal 200 Kilometer beträgt und es kein nennenswertes Verkehrsaufkommen gab (wie eigentlich überall auf Kuba), kam der halbleere Bus dank zahlreicher Pausen an unspektakulären Orten ohne die üblichen Konsumationsmöglichkeiten erst am frühen Nachmittag in Viñales an, einem kleinen Städtchen mit 16 Tausend Einwohnern, gelegen inmitten einer Postkartenlandschaft aus Tabakplantagen und Urwald.
Dort unterlief uns dann nach fünf Monaten des Reisens ein veritabler Anfängerfehler: Wir liessen uns von der Ausdauer einer am Busterminal anwesenden Señorita überwältigen und folgten ihr bis zu ihrer Casa Particular, welche deutlich ab vom Schuss lag und sich noch halb im Bau befand. Sie erklärte uns dann ihre missliche Situation und wir folgten unserem Herzen und zogen für zwei Tage bei ihr ein.
Am Nachmittag machten wir uns gleich auf zu einer Tabak-Tour, und zwar hoch zu Ross. Ein Freund unserer Landlady führte uns auf zwei lahmen Gäulen durch die umliegenden Landwirtschafts- und Kulturlandschaften. Das war aber ganz gut, denn mit Tempo erreicht man in Kuba nichts, man ging mit dem Flow. Zuerst machten wir Halt bei einem Tabakbetrieb, wo noch alles in reiner Handarbeit gefertigt wird. Der 70-jährige Patron versicherte uns dann auch, dass er seit Jahrzenten täglich seine Zigarren rauche und sich deshalb so fit fühle. Der Unterschied zwischen industriell und von Hand gefertigten Zigarren sei nämlich, dass erstere deutlich mehr Nikotin enthalten würden. Wir rauchten natürlich mit, und zwar nach alter Che Guevarra Façon, bei der das Mundstück der Zigarre mit Honig beschmiert wird. So schmeckte es wirklich ausgezeichnet ;-). Später besichtigten wir die Anbauflächen. Gerade war aber keine Tabakernte Zeit, wir lernten jedoch wieder einmal interessante Fakten über die Tabakpflanze, deren schädlingsbekämpfende Wirkung, unterschiedliche Blattqualitäten und deren Verwendung in der Zigarre.
Danach ging es weiter auf unseren Rennpferden zu einer artesanalen Kaffeefarm, dann zu einer Rum-Farm etc. Unser Guide, der Eigentümer der Pferde, hatte ein sehr gutes Verständnis von der Natur und ihren Geschenken, sodass wir reichlich Mango geerntet und verspeist haben, da wir an so vielen Mangobäumen vorbeikamen.
Wir genossen einen netten Nachmittag, trotzdem wirkte alles für uns wie in einem Drehbuch. Man hatte den Eindruck, dass den Touristen nur Ausschnitte gezeigt werden, die für ihre Augen bestimmt waren. Man konnte als Aussenstehender nicht so wirklich hinter die Kulissen blicken. Ganz anders als in anderen Ländern auf dieser Reise, wo wir stets den Draht zu den Menschen gefunden haben und über gesellschafts- und regierungskritische Themen reden konnten. In Kuba konnten wir bisher diese Vertrauensbasis zu den Menschen nicht so richtig herstellen. So gaben uns drei verschiedene Leute drei verschiedene Antworten auf dieselbe Frage. Wir wussten nicht recht, wem wir was glauben konnten. Einzig bei einem jungen Typen, bei dem wir später Klettersachen mieteten, hatten wir den Eindruck, dass er uns aufrichtig erzählte, wie Kuba so wirklich tickte.
Den nächsten Tag verbrachten wir auf zwei Velos, die ebenfalls durch unsere Landlady organisiert wurden. Sie hat sich und ihre Unterkunft gerne mit Superlativen geschmückt und nachdem die Qualität der Mountainbikes auf Nachfrage sogar mit mehreren dieser Superlative beschrieben wurde, hatten wir kaum noch Zweifel. Diplomatisch ausgedrückt wurden unsere Erwartungen nicht ganz erfüllt, aber egal, die Zweiräder taugten, um uns einen Tag durch die Täler, über die Hügel und zu den bekannten Höhlen rund um Viñales zu bringen, z.B. die Cuevas del Indio. Das Viñales-Tal ist wirklich wunderschön, tiefgrüne Vegetation und mittendrin erheben sich immer wieder schroffe Karstfelsen und darunter verzweigen sich teilweise sehr ausgedehnte Höhlensysteme (das längste misst 46 Kilometer). Je weiter wir von Viñales wegfuhren, desto ruraler wurden Land und Leute. Wir haben oft angehalten und mit kleinen Kindern, jungen Erwachsenen und alten Leuten gesprochen, die merklich weniger an den Umgang mit Touristen gewöhnt waren als dies im oft von Touristen besuchten Viñales der Fall war. Insgesamt machten genau diese Begegnungen unsere Rundfahrt zu einem speziellen Erlebnis. Die Höhlen und teilweise peinlichen, weil zu stereotypen schauspielerischen Vorstellungen indigener Volksrituale, haben uns etwas weniger beeindruckt. Interessant war auch das Verhalten der patrouillierenden Arbeiter als wir an einer industriellen Tabakfarm vorbeikamen und einen Augenschein nehmen wollten. Wir wurden sehr bestimmt vom Gelände gewiesen, vielleicht weil hier eine andere Qualität von Zigarren hergestellt wird? Wir wissen es nicht...
Für den letzten Tag in Viñales hatten wir uns Seil und Quickdraws gemietet, um klettern zu gehen. Die Gegend um Viñales ist bekannt für den guten Kalkstein, sie gilt sogar weltweit als einer der Kletterhotspots. Allerdings ist Klettern auf Kuba offiziell verboten, weil westliche Sportart, so erklärte uns der junge Mann, den wir über zahlreiche Umwege ausfindig machen konnten. Das kümmert allerdings kaum jemanden wirklich, manchmal wird man von den Rangern höflich gebeten aufzuhören. Dann bewegt man sich ein paar Meter weiter zur nächsten Wand und steigt wieder ein. Grössere Probleme gab es offenbar noch nie. Wir wanderten ein wenig bergwärts und verbrachten den ganzen Tag mit Ziegen und Geissen zusammen in einer Art Felskessel inmitten von Tabakplantagen und wilder Vegetation, in dem wir die umliegenden Wände hochkletterten. Lustig waren die vielen Begegnungen mit den Echsen an der Wand.
Ausgepowert nach Klettern verbrachten wir noch einen chilligen Nachmittag in einer Art Kletter-Basecamp, wo man in der Hängematte liegen, Zigarren rauchen, Essen oder einfach nur sein konnte. Das war ein sehr schöner Tag für uns in Kuba. Zum ersten Mal hatten wir den Eindruck, kein Teil von einem Skript zu sein. Wir konnten tiefergehende Gespräche mit den Leuten führen, und wurden nicht wie wandelnde Dollars behandelt, denen man Zigarren, Rum oder was auch immer andrehen wollte. Wie erwähnt hat vor allem der junge Mann, der uns die Kletterausrüstung vermietet hat, sehr viel erzählt. Mit einem Klettershop in Kuba gehört er natürlich zu einer kleinen progressiven Gruppe.
Während wir abends eines der zahlreichen kleinen Restaurants besuchten, wurde uns in Viñales erstmals bewusst, dass der Grossteil der Kubaner neben dem geringen Einkommen auf die Essenmarken bzw. die staatlich gesteuerte Ausgabe von Lebensmitteln angewiesen ist. In sogenannten Bodegas können Kubaner monatlich ein Kontingent an Nahrungsmitteln wie Reis, Bohnen, Geflügel, Eier oder Zucker beziehen, Kommunismus pur. Viele Leute sagten uns aber, dass die Rationen nicht mal für die erste Hälfte des Monats ausreichen würden. Kein Wunder also, dass selbst gut ausgebildete Leute wie Lehrer oder Ärzte es vorziehen, eine Casa Particular mit besseren Verdienstmöglichkeiten zu führen, als in ihrem angestammten Beruf für einen kubanischen Spitzenlohn von rund 40 Franken pro Monat zu arbeiten (in anderen Berufen sind die Löhne noch deutlich niedriger). Tatsächlich trifft man in Kuba immer wieder auf Ärzte, die jetzt eine Casa Particular betreiben. Ärzte und andere Akademiker sind in Kuba keine Mangelware, denn es gibt zahlreiche Universitäten im Land und die Ausbildung kostet die Studenten wie schon einmal erwähnt nichts, wenn man einmal vom obligaten Staatsdienst danach absieht.
Nach wie vor waren wir auf der Suche nach einem fahrbaren Untersatz. Da uns der letzte verfügbare Mietwagen in Viñales tatsächlich direkt vor der Nase von jemand anderem weggeschnappt wurde und wir nicht noch einen Tag länger bleiben wollten, liessen wir uns nach langer Preisverhandlung von einem Taxifahrer zurück nach La Habana fahren, und zwar direkt zum Flughafen. Wir waren nach wie vor entschlossen, die Insel in der letzten Woche auf eigene Faust zu erkunden und wollten in unserem grenzenlosen Optimismus noch einmal versuchen, am Flughafen einen Mietwagen zu finden. Die Chancen schienen uns dort am besten, die Hoffnung stirbt zuletzt…
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