Wir waren bereit für unseren Tayrona Trek. Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Bus zum östlichen Parkeingang. Auf der Fahrt sind immer wieder Verkäufer zugestiegen und wollten uns allen möglichen Humbug verkaufen. Zumindest hat es auf uns so gewirkt, wir waren aber gar nicht die Zielgruppe, sondern die meist einheimischen Passagiere. Unser Highlight war ein Verdauungspülverchen, auf dessen Verpackung ein ganzer Darm abgebildet war für schlappe 10'800 Pesos (3.60 Franken). Nachdem die Verkaufsmüsterchen durch die Sitzreihen wieder nach vorne durchgereicht und ein paar wenige Geschäfte abgeschlossen waren, setzten sich die Verkäufer bis zum nächsten Halt in den eigens für sie aufgestellten Liegestuhl vorne beim Chauffeur. Wir hatten uns beim Einsteigen noch darüber gewundert.
Der Tayrona Nationalpark verläuft über rund 35 Kilometer zwischen der Karibikküste und dem Gebirge der Sierra Nevada de Santa Marta. Gegründet wurde er 1969 und er ist nach dem Volk der Tayrona benannt, welche die Kolonialgeschichte aber leider nicht überlebt haben. Der ganze Park ist etwa 150 Quadratkilometer gross, wovon 80% auf Land- und 20% auf Meeresfläche entfallen. Im westlichen Teil trifft man auf hellbraune Hügel und spärliche Vegetation, der Rest des Parkes ist gekennzeichnet durch weisse Strände und kleine Buchten, umgeben von Kokospalmen, Riesenkakteen und tropischem Regenwald. Zwar nicht im Park selbst, aber in der Nähe liegt auch eine weitere Hauptattraktion Kolumbiens, die Ciudad Perdida, wie Machu Picchu eine der ältesten wiederentdeckten Städte Südamerikas. Wir hatten uns dagegen entschieden, weil die Wanderung mit rund vier Tagen zu lang war für unser Zeitbudget und wir auch eher in der Stimmung für eine Wanderung entlang der Küste waren.
So starteten wir mit einigem Gepäck am Nachmittag am Eingang El Zaíno, Ziel noch unklar. Es ging gemächlich über schöne Holzstege entlang der Küste, immer wieder in den Wald hinein und über von den Wellen schön rund gewaschene riesige Steine, manche grösser als ein Einfamilienhaus. Am liebsten wären wir in die Wellen reingesprungen, aber in dem Teil der Küste warnten uns überall rote Fahnen und Tafeln vor den starken Strömungen und dass bereits über 100 Leute ertrunken seien, es gab sogar eine Playa Muerte, die aber mittlerweile umbenannt wurde. Besser nicht, dachten wir. Die Abschnitte westlicher und v.a. die Buchten sind besser vor den grossen Wellen und Strömungen geschützt und zum Baden geeignet. Die Stimmung, als gegen Abend die Dämmerung einsetzte, war unbeschreiblich. In Arrecifes fanden wir eine grosse Wiese mitten in einer Waldlichtung unweit des Meers. Weil wir aus Gewichtsgründen auf die Luftmatte verzichtet hatten, stellte es sich als Glücksfall heraus, dass am Nachmittag das Gras gemäht worden war. Wir bauten damit eine weiche Unterlage und stellten unser Zelt darauf. Im Freiluftrestaurant gab es kaum Gäste ausser uns, wir waren entsprechend positiv überrascht über das aufwendige und wirklich sehr leckere Essen.
Als wir dann ins Zelt krochen, erschwerten uns leider gefühlt eine Million Mücken das Einschlafen. Als wir dann alle aus dem Zelt oder ins Jenseits befördert hatten, sollte einer erholsamen Zeltnacht nichts mehr im Weg stehen. Weit gefehlt, denn nach etwa zwei Stunden wurde die Temperatur im Zelt immer unerträglicher. Es war ohnehin noch immer gegen 30 Grad warm und wir merkten nun, dass unsere Unterlage, das frisch geschnittene Gras, unter dem Zeltboden zu gären begann. Wir haben unser Zelt dann kurzerhand umgestellt (einmal mehr haben wir bereut, kein selbsttragendes Zelt zu haben), und schliefen irgendwann ein, als wir den Kampf gegen die neu ins Zelt geflogenen Moskitos resigniert aufgegeben hatten.
Am nächsten Morgen wanderten wir weiter entlang der Küste nach El Cabo de San Juan und von dort weiter ins Dorf Charaima, das man eigentlich eher unter der Bezeichnung Pueblito kennt. Im Dorf mit ursprünglich 250 Terrassen lebten bis ca. 1600 etwa 2’000 Menschen des Volkes der Tayrona, dem im damaligen Kolumbien weitest entwickelten Volk. Im heftigen Widerstand gegen die Spanier starben die meisten Tayrona, die wenigen Überlebenden zogen sich in die unzugängliche Sierra Nevada zurück. Ihre Nachfahren bilden heute das Volk der Kogi. Die Tayrona hatten zwischen der Küste und der Sierra Nevada viele solcher Terrassensiedlungen errichtet, die durch gut ausgebaute Wege miteinander verbunden waren, ähnlich wie man sie in Peru und anderen Ländern antrifft. Die Terrassen in Pueblito, auf denen einmal Wohn- und Gemeinschaftshäuser standen, sind gut erhalten bzw. restauriert, aber die meisten sind leer. Von den ursprünglichen Häusern stehen keine mehr, wenige wurden aber wiederaufgebaut und wir waren uns nicht sicher, ob es Menschen gibt, die dort wohnen oder des Tourismus wegen tagsüber dorthin gehen. Wir fanden das Dorf jedenfalls ziemlich untouristisch und hatten nicht den Eindruck, dass sich die paar Einheimischen für uns interessierten.
Auf dem Weg nach Pueblito schreckten viele Tiere und Insekten durch uns auf, die meisten waren allerdings zu schnell oder zu scheu für die Linse. Die Wanderung von Cabo San Juan aus ist einigermassen anspruchsvoll, es geht immer wieder sehr steil den Berg hinauf in dichter Vegetation und über grosse Steine und mehrfach muss man bouldern und sich durch schmale Felsformationen zwängen, eine natürliche Selektion sozusagen. Es soll noch einen zweiten Weg geben von der Küste aus, der einfacher ist, über die Playa Brava oder Playa Nudista (?). Später erst haben wir von der hohen Biodiversität nachgelesen, im Park leben über 770 Pflanzenarten, 100 Säugetier- und 300 Vogelarten, mal ganz abgesehen vom ganzen sonstigen Gekreuche und Gefleuche und vor allem den Meeresbewohnern.
Dann ging es auf dem gleichen Weg zurück. Auf dem Rückweg hatten wir noch einen Schreckensmoment, als Patrick auf die Überreste eines Holzbrettes trat, in dem ein rostiger Nagel steckte. Glück im Unglück, denn der Nagel ging nicht sehr tief rein und Patrick konnte gut weiterlaufen. Am Parkausgang gab es zu unserer Überraschung noch das vom Tag übriggebliebene Glace. So warteten wir, unser Glace essend, bis die Park-Ranger Feierabend machten und uns bis zur Hauptstrasse mitnahmen. Zurück in Santa Marta schätzten wir wieder die Annehmlichkeiten der Zivilisation, und zwar in Form von Craft-Bier und einem leckeren Burger. Wir liessen den letzten Abend auf dem südamerikanischen Kontinent gemütlich ausklingen, am nächsten Morgen ging es früh weiter in Richtung Kuba, dem letzten Land, das wir auf dieser Reise besuchen würden.
Nachtrag 1: Den Salomon-Wanderschuh, den sich Patrick übrigens damals nach dem Diebstahl in San Pedro de Atacama zugelegt hatte, gibt es noch immer. Und jedes Mal, wenn er damit im Regen unterwegs ist, erinnert ihn ein feuchter Fuss daran, dass das Loch noch nicht geflickt ist ;-).
Nachtrag 2: Seit 2019 ist Pueblito für Touristen auf Wunsch der indigenen Bevölkerung, den Kogi, nicht mehr zugänglich. Vermutlich wird dies permanent so bleiben.
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