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Medellín, Colombia

Stadt der Kontraste

Medellín wird wegen des ganzjährig warmen Klimas auch Stadt des ewigen Frühlings genannt. Vor einigen Jahren noch als gefährlichste Stadt der Welt betitelt, wird Medellín immer mehr zu einem Vorzeigeprojekt für ganz Lateinamerika, 2012 erhielt sie den Titel als weltweit innovativste Stadt. Wir waren überrascht, eine so westlich wirkende Stadt mit Fitnessstudios und Friseursalons für Hunde zu sehen (nicht, dass wir Letzteres als besonders fortschrittlich erachten). Am Busbahnhof herrschte eine freundliche Atmosphäre und übersichtliche Informationstafeln wiesen uns den Weg. Mit dem öffentlichen WiFi-Netz konnten wir uns zugleich im Stadtteil Poblado ein Hotel buchen.


Danach schlenderten wir durch die Gassen Poblados und liessen den Tag in einer Bar mit lokalem Craft Bier und Snacks ausklingen und verfolgten die French Open auf der Leinwand. Am nächsten Tag hatten wir ein strenges Programm vor uns, wir wollten die von vielen Reisenden gerühmte Real City Tour machen. Obwohl wir keine Reservation hatten und die Tour ausgebucht war, durften wir am Ende doch mitgehen.


In den folgenden drei Stunden haben wir viel über die Geschichte Medellíns erfahren und ein eindrückliches Bild der Stadt, ihrer Bürger und Geschichte erhalten. Eindrücklich war auch, wie die beiden Guides sich die Namen der etwa 40 Leute auf Anhieb merken konnten ;-) Zu Beginn erzählten uns die beiden einfach über die Geschichte der Stadt. Immer wieder haben sie von der TRANSFORMATION der Stadt gesprochen, in der früher weltweit am meisten Morde passierten. Einer der Guides erzählte, dass er selbst in einem ziemlich armen Stadtteil aufgewachsen war und auf dem Schulweg manchmal Tote gesehen hatte. Heute stehen in vielen dieser Viertel Bibliotheken und andere Bildungsangebote. Nicht zuletzt entwickeln sich die Quartiere auch dank des Tourismus, im Vergleich zu früher, als sich kaum ein Fremder nach Medellín getraut hat. Der Tourismus ist aber ein zweischneidiges Schwert, denn viele Fragen der Gruppe bezogen sich auf Drogengeschäfte, Kriminalität und auf Pablo Escobar und seinen bis heute für Touristen offenen Themenpark östlich von Medellín. Wir haben schnell gelernt, dass man in Medellín den Namen Pablo Escobar öffentlich noch weniger ausspricht als in anderen Teilen Kolumbiens. Zu kompliziert ist die Situation geblieben, zu verschieden sind die Lager, die es nach wie vor gibt. Wir haben aber während unserer Zeit in Kolumbien gemerkt, dass die meisten Kolumbianer den Blick nach vorne auf die «Transformación» richten, statt in den Rückspielgel zu schauen.


Über El Patrón spricht man in Medellín also nicht öffentlich. In unserem Blog möchten wir aber dennoch kurz schildern, wer der Mann war, der als wohl berühmtester Bürger Medellíns ein düsteres Kapitel zur Geschichte der Stadt und Kolumbiens beigetragen hat und dessen Tun nicht nur in Südamerika, sondern weltweit Auswirkungen hatte.


Escobar kam 1949 zur Welt und war schon als Teenager in illegale Machenschaften verstrickt und schmuggelte später alle möglichen Güter ins Land. Als in den 70er Jahren die Kokain-Industrie wuchs, nutzte er die Nähe zu den Anbauländern (v.a. Peru, Ecuador und Bolivien) und legte das Fundament für das bekannte Medellín-Kartell. Als dessen Boss war er in den 80er und frühen 90er Jahren der weltweit mächtigste Drogenhändler und kontrollierte rund 80% des Kokainmarktes. Er war gerade um die 30 Jahre alt, als sein Vermögen auf rund 25 bis 30 Milliarden Dollar geschätzt wurde. Escobar war zwischen 1987 und 1993 ununterbrochen auf der Forbes Liste der reichsten Menschen, 1989 bis auf Rang 7 vorgerückt. Das ging so weit, dass er Mitte der 80er Jahre der kolumbianischen Regierung anbot, die Staatsschulden gegenüber den USA von damals etwa 10 Milliarden Dollar zu begleichen, wenn die Anschuldigungen gegen ihn fallengelassen und das Auslieferungsabkommen mit den USA gekündigt würden. Sein Problem war aber mittlerweile, dass die Einnahmen aus dem Kokaingeschäft nicht mehr reinzuwaschen waren. Und weil seine Verbrechen immer skrupelloser und krimineller wurden, konnten auch Politiker nicht mehr einfach wegschauen.


Pablo Escobar pflegte einen entsprechenden Lebensstil und kaufte etwa 150 Kilometer von Medellín entfernt die Hacienda Nápoles, ein riesiges Anwesen mit einem Zoo und auch für Kolumbien exotischen Tieren wie Giraffen, Kamelen, Nilpferden und anderem. Das Anwesen verfügte noch über vieles mehr und weil Escobar den Zoo für die Allgemeinheit öffnete, wuchs seine Popularität bei vielen. Daneben besass er zu der Zeit sogar offiziell ein Anwesen in Florida. Escobar setzte sein Vermögen aber auch ein, um Hilfsprojekte für die Bevölkerung, Häuser und Fussballstadien zu finanzieren. So wurde er von manchen als Robin Hood gefeiert, was 1982 sogar dazu führte, dass er als Abgeordneter in den kolumbianischen Kongresses gewählt wurde. Den Posten musste er aber bald räumen, weil sich dies mit dem Ausmass der Drogengeschäfte nicht mehr vereinbaren liess. Der Ruf als Robin Hood hält sich bei seinen Unterstützern bis heute. Viel mehr Leute verachten ihn aber zutiefst, denn seine Gewaltbereitschaft kostete zahlreiche Politiker, Polizisten, Zivilisten und Kinder das Leben. Escobars Geschäftsmotto lautete «Plata o Plomo», wenn er es nicht mit Bestechung richten konnte, war Blei angesagt. Es gab eine Zeit, in der er für jeden getöteten Polizisten eine Prämie bezahlt hat. Einmal sprengte er sogar ein Flugzeug in die Luft, weil er einen Informanten töten wollte, stattdessen starben über 100 Unbeteiligte. Insgesamt soll er rund 4'000 Menschen getötet haben, ohne die Drogenopfer notabene.


In den 80er Jahren war er deshalb in den USA zum Staatsfeind Nummer 1 avanciert, denn sein Kartell schmuggelte mit Speed-Booten und Flugzeugen täglich rund 15 Tonnen Kokain nach Florida. Anfangs der 90er Jahre wanderte er dann freiwillig hinter Gitter und baute sich dafür sein eigenes Gefängnis. La Catedral war ein Luxusgefängnis mit Wellnessbereich, Fussballplatz und Nachtclub und Escobar betrieb seine Geschäfte fortan von dort. Schliesslich floh er und wurde 1993 von einer kolumbianischen Spezialeinheit auf den Dächern Kolumbiens erschossen. Botero hat davon ein Bild gemalt. Das Kartell fiel rasch in sich zusammen, das Vakuum wurde durch kleinere Kartelle, Guerilla (z.B. die FARC), Paramilitärs und das aufstrebende Cali-Kartell gefüllt. Escobars Themenpark und Zoo verlotterten, die Tiere wurden in Zoos im In- und Ausland abgegeben oder lebten in der freien Natur weiter und alles, das nicht niet- und nagelfest war, wurde gestohlen. Die verbleibenden Nilpferde sind übrigens die einzigen freilebenden Tiere ausserhalb Afrikas und sie vermehren sich offenbar prächtig, nicht nur zum Vorteil der Natur. Der Geist von Escobar spukt also auch 25 Jahre nach seinem Tod noch durch Kolumbien, in Form von freilebenden Nilpferden, aber auch noch in so manchen Köpfen.


Die Hacienda Nápoles wurde später zu einem Touristenmagnet, den man immer noch besuchen kann. Sein letztes Domizil im Stadtteil Poblado wurde mittlerweile gesprengt, um einen Park zu Ehren der vielen Opfer des Drogenkartells zu erstellen. Und vor allem auch, um den Erinnerungskult zu beenden, denn wie erwähnt wird Escobar in gewissen Kreisen nach wie vor verehrt. Auch hier spielt der Tourismus eine wichtige Rolle. Wir sind uns des schmalen Grates zwischen Gedenken und Respekt an die Opfer des Kartells und Erinnerungskults bewusst geworden, besonders in Zeiten der Netflix Erfolgsserie «Narcos». Wir hatten uns entschieden, das Drogenkapitel Medellíns ohne einen Besuch von «Escobar-Stätten» abzuschliessen, das muss aber jeder für sich entscheiden. Die meisten Kolumbianer haben unserer Meinung nach Verständnis für ein faktisches Interesse an der Drogenvergangenheit des Landes, sie selbst wollen aber nach vorne schauen, denn den meisten ist die Person Pablo Escobar mittlerweile einfach egal.


Nachdem wir einen guten Einblick in das Zentrum Medellíns bekommen hatten, kam die Tour am Parque San Antonio zum Ende. Dort steht Boteros bekannter Friedensvogel, der Pajaro de Paz, wobei es eigentlich zwei sind. 1995 wurde im metallenen Friedensvogel eine Bombe platziert, welche zwölf Menschen, darunter ein siebenjähriges Mädchen, das Leben kostete. Statt die Skulptur zu entfernen, hat Botero einen zweiten, unversehrten Friedensvogel geschaffen und ihn gleich daneben platziert. Beide stehen nun als Symbol des Friedens und erinnern an den abscheulichen Anschlag. Neben den beiden Friedensvögeln findet man übrigens in ganz Medellín fast 100 Skulpturen des Künstlers.


Generell trifft man in vielen Stadtteilen auf Street Art und Künstler, die live performen. Ein bekanntes Viertel dafür ist die Comuna 13, die bis vor einigen Jahren als gefährlichster Stadtteil in der tödlichsten Stadt der Welt galt. Um dorthin zu kommen, haben wir zuerst die U-Bahn genommen, den ganzen Stolz der Stadt. Entsprechend ist sie pikobello herausgeputzt, hier wird nicht gegessen oder randaliert, jeder weiss unter welchen Umständen die Stadt die U-Bahn gebaut hat. Auf dem weiteren Weg zur Comuna 13 fährt man mit einer Stadt-Seilbahn, in lateinamerikanischen Städten keine Seltenheit. Ein ideales Verkehrsmittel, um hügelige Stadtteile miteinander zu verbinden, Flüsse zu überqueren und das Verkehrschaos am Boden zu umgehen.


Im Vergleich zum Stadtzentrum stellt die an einem Hügel gelegene Comuna 13 einen krassen Kontrast dar. Viele Hausdächer sind aus Wellblech und man trifft überall auf Graffitis oder junge Leute, die eine Break Dance Session zum Besten geben. Wir haben die Bewohner der Comuna 13 als freundlich und neugierig empfunden und haben uns da sicher gefühlt, obwohl die Einheimischen selbst uns immer wieder zur Vorsicht geraten haben. Wir fanden die Entwicklung des Quartiers beeindruckend. Später sind wir über zahlreiche open-air Rolltreppen wieder in Richtung Stadtkern gelaufen. Den Sonnenuntergang haben wir im Pueblito Paisa auf dem Cerro Nutibara mit bester Aussicht auf die Stadt genossen. Zurück im Stadtteil Poblado schlossen wir den Besuch von Medellín mit einem feinen Nachtessen ab und liessen die gewonnenen Eindrücke in der Stadt der Paisas, wie die Bewohner Medellíns genannt werden, nochmal Revue passieren.


Am nächsten Tag fuhren wir in aller Früh zum Flughafen der Stadt. Uns fiel auf, dass die Häuser in Richtung des Flughafens immer protziger wurden. Der Taxifahrer meinte, dass es früher nicht möglich war, hier durchzufahren, ohne dass man verschleppt worden sei… wir hatten genug von den Geschichten gehört und freuten uns auf ein paar unbeschwerte Tage in Cartagena oben an der Karibikküste.




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