Von Bogotá nach Salento gibt es keinen direkten Bus, man muss entweder in Armenia oder Pereira umsteigen. Wir haben den Weg über Armenia gewählt. Im Internet haben wir nachgelesen, dass die Stadt initial "Villa Holguín" hiess und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Armenia umbenannt wurde. Dies in Gedenken an das Massaker an den Armeniern Ende des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich, eine für uns eher unerwartete und interessante Erklärung des Ortsnamens. Armenia ist mittlerweile zu einer Stadt mit rund 300 Tausend Einwohnern angewachsen und liegt mitten in der Kaffeezone Kolumbiens, die auch als "Eje cafetero" bezeichnet wird. Die "Kaffeeachse" verläuft entlang der Städte Armenia, Pereira und Manizales, die Hauptstädte der drei Anden-Departamentos. Das Kaffeeanbaugebiet liegt auch ziemlich genau in der Mitte des "Goldenen Dreiecks", welches durch die drei grössten Städte Kolumbiens aufgespannt wird, nämlich Bogotá, Medellín und Cali.
Obwohl Armenia weniger als 300 Kilometer westlich von Bogotá liegt, dauert die Busfahrt rund acht Stunden, mit Verkehr sogar länger. In unzähligen Kurven führt die Strasse von der Hauptstadt auf 2’640 Metern über Meer in das rund 1'100 Meter tiefer gelegene Armenia. Den Bus haben wir uns mit einer Gruppe junger Israelis geteilt, welche sich nach vollendetem Militärdienst auf der obligaten Südamerikareise befanden. In Kolumbien haben wir besonders viele Israelis angetroffen, stets erkennbar an der guten Laune und eher hohen Dezibel-Werten ;-). So war im Nachtbus kaum an Schlaf zu denken.
Mitten in der Nacht kamen wir in Armenia an. Da noch alles geschlossen war und der erste Bus nach Salento erst später fuhr, legten wir uns im wenig einladenden Busterminal noch aufs Ohr bzw. auf unsere Rucksäcke und versuchten verpassten Schlaf nachzuholen. Kurz vor der Dämmerung stiegen wir in einen lokalen Bus, der uns in einer knappen Stunde nach Salento brachte, wo wir frühmorgens um 5.30 eintrafen. Wir mussten uns also noch etwas gedulden bis wir unseren ersten Kaffee im Kaffeehochland kosten konnten. Dieser schmeckte dann auch so, wie man es von einem kolumbianischen Kaffee erwartete und war das lange Warten allemal Wert.
Dann machten wir uns auf, die schachbrettartigen Strassen des kleinen Städtchens mit nur rund 7'000 Einwohnern zu erkunden. Rund um die Plaza Bolívar, dem Hauptplatz von Salento, herrschte ein buntes Treiben an zahlreichen Ständen. Gegessen wird hier typischerweise Trucha y Patacón. Zu Deutsch: Forellen (aus dem Cocora-Tal) auf frittierter Kochbanane. Zum Dessert legten wir ein paar obligate Obleas nach, die wir schon aus Bogotá kannten. Das sind dünne Waffeln, die aufeinander gestapelt werden mit allem möglichen Süsszeugs zwischendrin. Meistens isst man die Obleas mit Dulce de Leche bzw. Manjar, ein Aufstrich aus Milch, Zucker und Vanille oder Arequipe, einem Caramel-Aufstrich. Eines war klar, in der kolumbianischen Küche wird nicht mit Kalorien gespart. Eine Obleas hat es zu grosser Bekanntheit geschafft, als Mick Jagger im Oktober 2016 anlässlich eines Konzertes der Rolling Stones in Bogotá an einem Strassenstand eine Oblea verdrückte, hat dies zu medialer Aufmerksamkeit geführt. Danach verkaufte jeder in Marketing halbwegs geschulte Stand-Betreiber in Kolumbien Mick-Jagger-Obleas, meistens mit grossen Plakaten…wir haben sie jedenfalls überall gesehen.
Wir hatten Glück und konnten unsere Trucha und den Dessert im Trockenen verspeisen, aber der Himmel war grau verhangen und es war auch ziemlich kühl. Das liegt auch daran, dass Salento auf 1’900 Metern liegt. Am Ende ist es genau das Klima, das die Kaffeebohne mag: Regelmässiger Niederschlag und gleichmässige Temperaturen jahrein jahraus.
Salento ist Ausgangspunkt für Ausflüge zu Kaffeefarmen und in das Cocora-Tal, das für seine Landschaft bekannt ist, v.a. aber für die Quindio-Wachspalme, mit ihrem bis 60 Meter langen Stamm die grösste Palme der Welt. So beschlossen wir, am nächsten Morgen auf einen der zahlreichen Willy-Jeeps an der Plaza Bolívar aufzuspringen und zu den Wachspalmen ins Valle de Cocora zu fahren. Während die Locals die beiden Sitzbänke hinten in den Willy Jeeps bevorzugten, freuten wir uns, wie die Müllabfuhr hinten auf der angeschweissten Stossstange mitzufahren und durch die Gegend zu surfen. Für Gonca war es ein wenig anstrengend, da sie sich strecken musste, um über das Jeep-Dach hinauszusehen ;-). Voll beladen transportieren die Willys bis 11 Personen! Neben uns stand noch ein Mann auf der Stossstange, der auf dem Weg zur Arbeit war. Es stellte sich als Glücksfall heraus, denn er war Gärtner und konnte uns jeden Busch beim Namen nennen. Besonders angetan hatten es uns die Aguacate-Pflanzen mit ihren Avocados. So erfuhren wir auch, dass die Wachspalme der Nationalbaum von Kolumbien ist. Lustigerweise sind wir auf der bisherigen Reise in jedem Land früher oder später einem Nationalbaum begegnet. Wir fragen uns, ob es den in der Schweiz und in Österreich auch gab. Nach unseren Recherchen nicht, auch keinen Vogel oder sonstiges Getier. Anders sieht’s auf Ebene der Kantone aus, es lebe der Föderalismus!
Eine halbe Stunde später waren wir im Valle de Cocora und damit am Ausgangspunkt unserer Wanderung. Ein populärer Hike führt an den berühmten Wachspalmen vorbei zu zwei Fincas, die einen landestypisch verpflegen. Chocolate con Queso musste es sein und auch für Unterhaltung war gesorgt: Dank den Zuckerwasserbrunnen schwirrten unzählige Kolibris um uns herum. Die Wanderweg führt entlang des Río Quindio über mehrere wacklige Hängebrücken zurück zum Startpunkt. Wir haben die Wanderung in der umgekehrten Richtung gemacht, um das Highlight bis zum Ende aufzusparen. Zwar hat sich das Wetter zusehends verschlechtert, es blieb aber trocken und die grauen Wolken legten sich wie ein Schleier mystisch um die imposanten Palmenstämme. Deren Höhe ist faszinierend, inmitten anderer Bäume ragen sie wie Stecknadeln in den Himmel, um am Ende ein paar unterdimensionierte Blätter zu tragen. An sich nichts Schönes, aber in Kombination mit der hügeligen Landschaft und übrigen Flora doch aussergewöhnlich. Zu Recht ist die Wachspalme die Miss Árbol National de Colombia.
Für die Rückfahrt nach Salento stellt man sich am Parkplatz so lange an, bis genügend Leute für einen Willy eingetrudelt sind. Wir haben natürlich wieder die Stehplätze gewählt, obwohl es genügend Sitzplätze gab. Der Fahrer hatte begrenzt Verständnis dafür, wir aber hatten unseren Spass und genossen den frischen Wind in den Haaren bzw. im Bart ;-).
Den Abend verbrachten wir in einem gemütlichen Café, an dessen Wänden zahlreiche Preise für Brewing, Cupping oder Roasting hingen. Wir wollten mehr darüber erfahren, schliesslich ist Kolumbien nach Brasilien und Vietnam der weltweit drittgrösste Kaffeeexporteur.
Die nächsten Tage verbrachten wir deshalb auf der Hacienda Venecia, mitten auf einer Kaffeeplantage. Mit dem Bus fuhren wir von Salento nach Manizales und dann im Taxi über Stock und Stein zur Hacienda, vorbei an den Kaffeepflanzen, Avocado-Bäumen und riesigen Bambusgewächsen. Der Taxifahrer erklärte uns, dass es sich um Guadua handelt, einen in ganz Südamerika verbreiteten Riesenbambus, der bis 30 Meter hoch wird und primär als Baumaterial genutzt wird. Der Bambus sei ganz anders als asiatischer Bambus, aber die Details können wir nicht mehr rekapitulieren. Auf der Hacienda Venecia hatten wir Gelegenheit, alles über Kaffeeanbau, -ernte, -produktion und -distribution und vieles mehr zu erfahren. Die berühmte Kaffeeanbauregion Kolumbiens befindet sich im hügeligen Zentrum des kolumbianischen Teils der Andenregion auf einer Höhe zwischen 1’200 und 2’000 Metern. Durch die Lage in der Nähe des Äquators und zwischen zwei Andenketten gibt es keine ausgeprägten Regen- und Trockenzeiten, es herrscht das ganze Jahr etwa die gleiche Temperatur und es ist immer grün. Wenig überraschend gehören Landwirtschaft und Tourismus zu den Haupteinnahmequellen der Region.
Auf der Führung durch die Plantage haben wir erfahren, welchem Zufall wir den Kaffee überhaupt zu verdanken haben. Der Legende nach sind Bauern in Äthiopien vor hunderten von Jahren immer wieder hyperaktive Ziegen aufgefallen. Nach einer gründlichen Feldstudie haben sie festgestellt, dass als Ursache nur der Verzehr von Kaffeebohnen in Frage kommen kann. Von da an nahm die Erfolgsgeschichte der Kaffeebohne ihren Lauf. Ruben, unser Guide, hat uns viel erzählt von der Community der Kaffeepflücker, die von Plantage zu Plantage ziehen, von fairen Preisen und Zertifizierung und wir hatten noch viele Fragen. Ein spannendes Thema, nicht zuletzt, weil unser lieber Schwager Jojo in Dornbirn eine eigene Rösterei mit Shop betreibt. Interessierte können sich gerne auf seiner Homepage umsehen, wir hoffen noch immer auf eine Erfolgsbeteiligung.
Die Hacienda gehörte einer wohlhabenden Familie, die ganz anders als die meisten Kolumbianer lebten, die wir bis jetzt kennengelernt hatten. So kannten sie z.B. die Schweiz bestens, da der eine Sohn Orthopäde in Lausanne sei und der andere, Juan Pablo, eben hier die Hacienda managte. Von den Skiferien in Davos und dem Haus in West-London war die Rede, das Kaffee-Business scheint sich zu lohnen. Nicht umsonst werden die Bohnen an den grossen Rohstoffbörsen in London und New York gehandelt.
Während Gonca einmal mehr einen letzten Einsatz für ihre PhD-Arbeit vor sich hatte, löcherte Patrick Juan Pablo mit Kaffee-Fragen. Interessant war, dass Patrick bei einem geschäftlichen Projekt vor vielen Jahren mehrere Kaffeeeinkäufer kennengelernt hatte, welche auch bei Juan Pablo ein- und ausgingen. Man muss dazu wissen, dass diese nur die allerbeste Qualität im Markt kauften. Entsprechend beeindruckt war Patrick von Juan Pablos Kaffeefarm. Die Fragerei wurde ihm dann sichtlich lästig, denn er hätte lieber ein Gespräch mit den zwei hübschen mexikanischen Schwestern geführt. Diese waren allerdings froh, dass die vielen Fragen ihnen den selbstgefälligen Juan Pablo vom Hals gehalten haben ;-). Patrick hat sich dann in der Diskussion etwas zurückgenommen, dafür beim Verzehr der wohl für die Chicas aufgetischten Flasche Rum grosszügig mitgeholfen.
Am nächsten Morgen liessen wir uns auf der Hauptstrasse absetzen, warteten lange auf einen Bus, der uns nach Medellín brachte. Auf der Fahrt sind wir an tollen Landschaften, Fincas und Plantagen vorbeigefahren und dachten uns, wie gerne wir anhalten würden für ein paar frische Früchte, ein bisschen Palaver mit den Leuten und um ein paar Fotos zu knipsen. Wir sind definitiv am liebsten mit einem Gefährt unterwegs, mit dem wir Route und Geschwindigkeit selbst bestimmen können. Grund zum Jammern hatten wir aber nicht, wir waren gerade in Medellín eingetroffen und noch lag der halbe Tag vor uns!
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