Nach der geschickten Reparatur unseres Reifens waren wir wieder auf Achse. Auf dem Weg nach Trinidad machten wir noch Halt an der Playa Girón, gemäss kubanischer Propaganda ein touristisches Juwel in einem Natur- und Biosphärenpark. Sogar im LP stand eine Empfehlung für einen Besuch dieser Hotel- und Parkanlage. Was uns dort erwartete, war surreal. Wir fühlten uns eher an eine militärische Sowjet-Einrichtung erinnert, die vor sich hingammelte, als in einer Ferienanlage zum Entspannen. Alles erschien uns in Grautönen, bestenfalls mit ein wenig beige. Auf den vergilbten Bildern an den Wänden der Anlage sah man, wie alles einmal ausgesehen haben musste. Wenigstens der Strand würde schön sein, dachten wir uns. Es wurde nicht besser, auch wenn wir den herumliegenden Müll ausblendeten. Die Ingenieure hatten, wohl um die Wellen zu brechen, einen hässlichen schwarzen Riegel quer durch die ganze Bucht gezogen, der einem jegliche Aussicht vermieste. Immerhin verstand es der Fotograph, dass die Strandfotos vom hässlichen Riegel aus in Richtung des Hotels schöner waren als in umgekehrter Richtung. Das Hotel kann man tatsächlich buchen. Auf den Bewertungsplattformen haben wir uns später überzeugt, dass wir uns hier im untersten Sterne-Segment befinden…
Besser und auch empfehlenswert war der Besuch des Museo Girón, obwohl alles ein wenig ausgestorben und angestaubt wirkte. Das Museum ist aber recht informativ und zeigt viele eindrückliche Bilder und Requisiten der Invasion der Schweinebucht. Von Vorteil sind Spanischkenntnisse für die Erklärungstexte, sonst sollte man sich einen Guide nehmen. Später machten wir uns auf in Richtung Trinidad, wo wir im Dunkeln bei strömendem Regen schliesslich in unserer Casa Particular ankamen, die in einem schönen Gebäude aus der Kolonialzeit untergebracht war.
Am nächsten Morgen erkundeten wir das farbenprächtige Trinidad, das mit den engen Gassen im Vergleich zu Havanna mehr einem Dorf glich als einer Stadt. Wir kletterten Kirchtürme rauf und runter, hörten Strassenmusikern zu, assen und tranken was uns angeboten wurde, schauten jungen Männern beim Scrabble zu und spielten selbst mit, wurden Zeugen von Pferderennen durch die engen Pflastersteinstrassen und besuchten eine Schule, anders gesagt, wir liessen uns einfach treiben an diesem Tag.
Es ist eindrücklich, wie schon dem Nachwuchs die Heldenbilder von Fidel Castro, Che Guevara oder Camilo Cienfuegos quasi per Gehirnwäsche in der Schule mitgegeben werden. Das stimmte uns einerseits zwar nachdenklich. Andererseits darf man nicht alles mit unseren Massstäben beurteilen, schliesslich kann sich das kubanische Bildungssystem auch im weltweiten Vergleich gut sehen lassen. Angesichts der sonst desolaten Situation in Kuba nimmt das Land im Bildungs- und Gesundheitswesen eine Ausnahmerollen ein, denn diese beiden Bereiche können mit entwickelten Ländern mithalten. Im Vergleich zu sämtlichen lateinamerikanischen Ländern schneidet Kuba mit Abstand am besten ab und findet weltweit Nachahmer. In unseren Gesprächen mit Kubanern hatten wir immer wieder gespürt, wie stolz sie auf ihr Gesundheits- und Bildungssystem waren, was viele als bestes Argument für den Kommunismus gesehen haben. Für die meisten Kubaner war es unvorstellbar, dass in Amerika und anderen vermeintlich modernen Ländern für eine gute Bildung oder das Gesundheitssystem viel Geld bezahlt werden muss, das kapitalistische Übel eben.
Fidel, Che und die weiteren Barbudos haben gleich nach ihrem Sieg 1959 bis in den hintersten Winkel Kubas eine Alphabetisierungskampagne gestartet. Analphabetismus gibt es heute nicht mehr. Die Schulen sind meistens Ganztageseinrichtungen und man unterscheidet Grund-, Mittel-, und Oberschule, mit neun obligatorischen Schuljahren. Wir waren in einer Grundschule, die sich in einen primer ciclo (1. - 4.) und einen segundo ciclo (5. - 6.) unterteilt. Eine Lehrerin hat uns erklärt, dass im ersten Teil neben Spanisch und Mathematik v.a. das Fach «El mundo en que vivimos» gelehrt wird. Im Klartext werden den Schülern dabei die ganzen kubanischen Helden und Volksweisheiten eingeimpft. Später, wenn sie älter sind, heisst das Fach dann «Historia». Für uns war es speziell, dass neben Mickey Mouse ein Bild von Che, Fidel oder Camilo hing. Alle Schüler tragen Uniform auf Kuba. Rot-Weiss in der Escuela Primaria (1. - 6. Klasse), Gelb-Weiss in der Secundaria (7. - 9. Klasse) und später Hell-Dunkelblau in der Pre-Universitaria (10. - 12. Klasse).
Heute hat Kuba die weltweit höchste Immatrikulationsquote und jeder dritte Studierende wählt ein medizinisches Fach. Das Land zählt pro 1'000 Einwohner 4.7 Ärzte, mehr als die Schweiz (4.2), Deutschland (4.3) oder die OECD (3.3). Das Studium auf Kuba ist kostenlos, aber alle Studenten müssen nach ihrem Abschluss drei Jahre lang für den Staat einen Sozialdienst ableisten.
Nicht nur die Schulzimmer, auch der Strassenrand war gesäumt mit Propaganda von Castro, Cienfuegos, Che Guevara und anderen noch lebenden oder längst verstorbenen Volkshelden. Auch der verstorbene venezolanische Präsident Hugo Chavez grüsste von einigen Plakaten. In der Gegend um die Schweinebucht, der Hochburg des socialismo, kann man sich kaum fortbewegen, ohne dass einem einer der commandantes von einer Werbetafel mit ernster Miene entgegenblickt. Es ist unglaublich, wie lange sich diese Personenkulte schon halten. Jeder kennt die Heldengeschichten, die in der Schule jahrelang Teil des Stoffplanes sind, in- und auswendig und kaum jemand verliert ein schlechtes Wort über sie.
Auf dem Rückweg nach Varadero sind wir an einem Spital vorbeigekommen und wollten es besichtigen. Nachdem Gonca mit einem Arzt aus Kolumbien am Eingang ein wenig gefachsimpelt hatte, hat uns dieser das ganze Spital gezeigt. Ärzte aus dem Ausland trifft man in Kuba immer wieder, denn die Qualität des Gesundheitssystems und der Ausbildung wird auch in anderen lateinamerikanischen Ländern geschätzt. Umgekehrt entsendet Kuba auch sein Gesundheitspersonal in andere lateinamerikanische Länder wie Venezuela. Bei der Spitalführung wurde uns auf einen Schlag wieder bewusst, wie desolat die Infrastruktur teilweise war. Aus den elektrischen Kabelschächten rann das Regenwasser quer durch das Gebäude hindurch, das in den Gängen überall mit Karton ausgelegt war. Der Arzt hat uns erklärt, dass er für ein Jahr hier sei und die Situation zwar schwierig wäre, aber deutlich besser als in Kolumbien. Die Lebenserwartung von fast 80 Jahren in Kuba gibt ihm wohl Recht. Wir waren tief bewegt und beeindruckt, als wir das Spital nach der Führung wieder verlassen haben.
Danach sind wir weiter in den Norden in Richtung Varadero zurückgefahren. Generell war das Autofahren für uns in Kuba eine ausserordentliche und positive Erfahrung, die wir jedem empfehlen. Wir haben alle Autostopper mitgenommen, die wir platztechnisch mitnehmen konnten. Man muss sich vergegenwärtigen, dass nur wenige Kubaner selbst ein eigenes Fahrzeug besitzen. Sie warten oft mehrere Stunden auf einen Bus, der an ihr Zeil fährt und noch freie Plätze hat. Manche Unternehmen betreiben ihre eigenen Transportdienste, weil Pünktlichkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Glückssache wird. Daher versuchen viele mit den wenigen privaten Autos mitzufahren, die rumfahren. Oft stieg jemand aus unserem Auto aus und zugleich eine neue Person wieder ein. Am Anfang waren die Autostopper oft verdutzt, dass sie von Touristen mitgenommen werden, einer wollte gar wieder aussteigen, als er unsere zwei bleichen Gesichter (ok, Gonca war nur noch semi-bleich) gesehen hat, aber das hat sich dann gelegt und die Leute waren immer sehr dankbar.
Wir erinnern uns noch gut an ein altes Männlein, das fast Angst vor uns hatte und uns Geld für die Fahrt geben wollte, was wir natürlich bei allen kategorisch abgelehnt haben. Dann fuhr ein junges Paar längere Zeit mit uns, beides Zahntechnik-Studenten, die ganz scheu und zuvorkommend auf der Rückbank sassen. Viele kamen von der Arbeit, die meisten von ihnen hatten wegen dem dualen System Kubas noch nie direkten Kontakt mit Touristen, weshalb sie auch so zurückhaltend waren. Wir haben dann mit unserem Spanisch einfach drauflos gequatscht und meistens hat sich die Situation dadurch entspannt. Allerdings haben wir manche kaum verstanden, weil sie nicht gerade das Schulspanisch mit uns sprachen, welches wir verstanden hätten. Unterhaltsam und herzerwärmend war es trotzdem, einer hat sich sogar mit Kusshand verabschiedet.
Auf der Rückfahrt hat sich dann noch eine kleine Dramatik ergeben. Der Füllstand unseres Tanks ging nach mehrfachem Warnsignal und roter Lampe in Richtung Null. Wir fanden glücklicherweise eine Tankstelle. Natürlich mussten wir das höherwertige und teure Benzin für unseren Rennwagen tanken, da nur dies für Mietautos zugelassen ist. Als die Reichweiten- und Tankanzeige auch einige Zeit nach dem Tanken nicht anstieg, wurde uns klar, dass wir wohl nur bezahlt hatten, aber keinen Tropfen des edlen Kraftstoffs bekommen hatten. Nur waren wir mittlerweile schon so weit von der Tankstelle weg, dass es für den Rückweg kaum mehr gereicht hätte, weil wir nur wenig getankt hatten und zudem mussten wir das Auto pünktlich abgeben und hatten am gleichen Abend noch einen Flug zu erreichen. Mit dem letzten Tropfen Benzin im Tank fanden wir noch eine Tankstelle, die zum Glück Benzin hatte (auch dies ist nicht immer möglich) und wir konnten unsere Karre in Varadero pünktlich abgeben.
Danach packten wir unsere sieben Sachen und der Patrón unserer Casa Particular fuhr uns zum Flughafen von Havanna, er besass als Privilegierter auch noch eine Taxilizenz. Unterwegs auf der langen Fahrt hatten wir ein weiteres Gespräch, bei dem wir dem Inhalt wirklich glauben konnten. Kuba polarisiert, wir haben das selbst erlebt, vielleicht braucht man einfach Zeit für das Land, um wirklich hinter die Kulissen zu sehen. Wir haben viele Fragen zu Wirtschaft, Gesellschaft, Recht und anderen Themen in unseren Begegnungen gestellt und wir haben dazu etwa so viel Male eine andere Antwort erhalten, wie wir die Fragen gestellt haben. Aber bei dieser letzten Fahrt schienen uns die Antworten auf einmal kohärent mit dem Bild, das wir mittlerweile selbst von Kuba erhalten hatten. So fühlten wir am Ende die Harmonie mit dem Land und den Leuten, die wir seit unserer Ankunft gesucht hatten. Auch ohne Vorausplanung ist Kuba so zu einem Supererlebnis für uns geworden und gehört zu den Highlights unserer Reise. Ein anspruchsvoller und würdiger Abschied unserer Reise, genauso stellen wir uns Reisen vor!
Am Flughafen haben wir uns unter das hauptsächlich deutsche Condor-Pauschalurlauber-Publikum gemischt, schnell noch die maximal möglichen Mengen an Rum und Zigarren als Mitbringsel von unserer Reise für Freunde und Familie eingekauft und uns mental auf die Ankunft in der Schweiz vorbereitet. Schliesslich wartete unser Alltag nach fast sechs Monaten Pause wieder auf uns, wir hatten die Reisezeit bis zum letzten Tag ausgereizt. Bald, bzw. am Folgetag war es wieder an der Zeit, die im Januar weggeworfene Pendenzenliste hervorzukramen ;-).
Resümierend zu unserer fast sechsmonatigen Reise durch Südamerika und Kuba passt ein Bonmot des Literatur-Nobelpreisträgers und Vertreters des Magic Realism Gabriel García Márquez «Don‘t be sad that it is over, but happy, that it happend».
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