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Carretera Austral Sur, Chile

Zu Gast bei Don Jaime

Während wir in Argentinien teilweise mehrere Stunden durch die unendlichen Weiten Patagoniens fuhren, um eine Sehenswürdigkeit, einen Nationalpark oder eine Ortschaft zu erreichen, änderte sich das in Chile auf der Carretera Austral rasch. Die schier unendliche Dichte an Postkarten-Landschaften entlang dieser alten Strasse, die noch Pinochet mit dem Ziel der Erreichbarkeit des Südens erbauen liess, war überwältigend.


Trotzdem haben wir unseren Road-trip auf der legendären Ruta 40 in Argentinien sehr genossen. Die endlosen, menschenleeren Schotterstrassen mit dem blauen Himmel und die kargen, steppenartigen Berglandschaften haben sich tief in unser Gedächtnis eingeprägt. Erst beim Durchfahren dieser Weiten wurde uns so richtig bewusst, wie die spärliche Bevölkerungsdichte Argentiniens von nur 16 Einwohnern pro Quadratkilometer zu Stande kommt. Zum Vergleich: In der Schweiz leben pro Quadratkilometer rund 200 Leute. Auch die manchmal verzweifelte Suche nach einem geeigneten Zeltplatz in der Pampa war eine interessante Erfahrung. Entgegen unserer Vorstellung war es nämlich nicht so, dass man an jedem Strassenrand einen geeigneten Platz für das Zelt fand. Gute Stellen waren rar und meistens eingezäunt. Einmal mussten wir sogar feststellen, dass “Las Horquetas“, ein auf unserer Karte als Ortschaft eingezeichneter Punkt, nichts weiter als ein einziges, sehr rustikales Hotel in der Pampa war. Wir haben uns trotzdem sehr über das Obdach in dieser Steinfestung und die Gesellschaft des netten und neugierigen Mitarbeiterpaares gefreut.


Von Zeit zu Zeit nahmen wir auch einige der vielen Autostopper mit auf unserem Weg. Viele von ihnen reisten noch länger als wir und hatten spannende Geschichten aus ganz Südamerika zu berichten. In Erinnerung wird uns auch die Begegnung mit dem holländischen Arzt Pieter bleiben, der in den vergangenen Jahren in allen niederländischen Überseegebieten gearbeitet hat und die Ruta 40 mit dem Fahrrad bezwang. Letztlich gehörte auch die Suche nach den nur spärlich vorhandenen Tankstellen zu den regelmässigen Aufgaben in Patagonien. Wenn wir fündig wurden und die Tankstelle noch Benzin hatte, hat der Tankwart jeweils bis zum Anschlag aufgefüllt, u.a. indem das Auto am Ende noch von Hand geschüttelt wurde, um auch noch die letzten Luftblasen aus dem Tank zu lassen. Später im Norden mussten wir uns erstmal umgewöhnen, nicht an jeder Zapfsäule volltanken zu müssen.


Über den wenig benutzten Paso Roballos gelangten wir zur argentinisch-chilenische Grenze, deren Landschaften wieder einmal für eine Postkarte taugten. Während unserer gesamten Zeit in Patagonien haben wir einige solcher wenig befahrenen Grenzen passiert und waren immer positiv überrascht über die relaxte Atmosphäre auf chilenischer wie auch argentinischer Seite. Im Gegensatz dazu wurden an den Hauptgrenzübergängen v.a. auf der chilenischen Seite strengste Lebensmittelkontrollen mit Hunden und Röntgengeräten durchgeführt. Die Chilenen nehmen dies wirklich ernst, um ihr Land vor Kontaminationen von Aussen zu schützen. Die Einfuhr eines Apfels kann da schon zum Problem werden. An einem kleinen Grenzübergang teilte uns ein kommunikativer Beamter mit, dass am Tag nur ca. 15 Autos die Grenze passieren, und an einem anderen Übergang mussten wir den Zollbeamten von seinem Spiel mit der Katze unterbrechen, um die Papiere für uns zu erledigen. Sehr sympathisch wie wir fanden :-).


Nachdem wir die Grenze hinter uns gelassen hatten, schlugen wir unser Nachtlager am Campingplatz des relativ neuen und wunderschönen Parque Nacional Patagonia auf, wo wir die unbeabsichtigt aus Argentinien eingeschleppten Raupen in die verdiente Freiheit entliessen :-). Am nächsten Tag war es dann soweit, endlich erreichten wir die berühmte Carretera Austral auf Höhe der Ortschaft Cochrane, von wo aus wir die nächsten Tage nordwärts fuhren. Das südliche Ende der Carretera Austral liegt in Villa O‘Higgins, das unweit von El Chaltén ist. Allerdings ist die Verbindung dazwischen nur zu Fuss oder per Fahrrad möglich. Auf der Carretera Austral stiessen wir bald auf den intensiv türkisblau schimmernden Río Baker, der mit fast 1‘000 Kubikmetern Wasser pro Sekunde mit Abstand Chiles wasserreichster Fluss ist. Noch nie zuvor hatten wir einen Fluss mit einer so schönen, speziellen Farbe gesehen und wir beschlossen, unsere Mittagspause dort zu verbringen. Die intensive Färbung rührt von den Sedimenten des Campo de Hielo Patagónico Norte her, d.h. des Nordpatagonischen Eisfelds, dessen Schmelzwasser zuerst in den Lago Bertrand und danach via den Río Baker in den Pazifik abfliesst.


Kaum waren wir wieder unterwegs, tauchte mit dem Lago General Carrera schon das nächste optische Highlight vor uns auf. Der See trägt auf der argentinischen Seite den Namen Lago Buenos Aires. In den nächsten Tagen umrundeten wir fast den gesamten See, der mit 1‘850 Quadratkilometern Fläche fast viermal so gross ist wie der Bodensee. An dessen Ufern brachen wir zu zahlreichen Abenteuern auf. In Puerto Río Tranquilo bot sich zum Beispiel die Gelegenheit, mit dem Boot die über Jahrtausende von den Wellen geformten Cuevas de Mármol zu besichtigen.


Unser Highlight auf dieser Tour war sicherlich die Laguna San Rafael mit dem San Rafael Gletscher, einem 760 Quadratkilometer grossen Auslassgletscher des Nordpatagonischen Eisfelds. Dieser abgelegene Gletscher befand sich jedoch noch ein ganz beschwerliches Stückchen von der Carretera Austral bzw. von uns entfernt. Erst fuhren wir mit unserem Jeep zwei Stunden durch das wilde Valle Exploradores mit seinen atemberaubenden Landschaften. Auf dieser Strecke begegneten wir gewaltigen Hängegletschern aus nächster Nähe, die bedrohlich an den steilen Felsen hingen, imposanten Wäldern und einem gigantischen Wasserfall. Als wir an einem weiten Fluss ankamen, genauer genommen die Vereinigung von drei verschiedenen, fischreichen Zuflüssen, endete die Schotterpiste abrupt. An ein Passieren der offenbar seit Jahren im Bau befindlichen Brücke war nicht zu denken. Wir waren also spät am Abend an einem wilden Fluss ohne geeigneten Zeltplatz angekommen. Die einzige Menschenseele war in der Person von Don Jaime auf der anderen Seite des Flusses auszumachen. Nach einem kaum verständlichen Gebrüll über den weiten Fluss, worin die Worte “hoy“ und “dormir“ fielen, hatte Don Jaime ein Erbarmen und legte kurze Zeit später mit seinem Motorboot auf unserer Flussseite an. Er beförderte uns zu seiner Behausung, wo er uns in seinem Unterschlupf für Fischer für die Nacht einquartierte. Am nächsten Morgen traf dann unser Reiseveranstalter mit den restlichen, zivilisierteren Teilnehmern der Tour ein und wir fuhren mit einem lottrigen Bus eine weitere Stunde auf holpriger Piste. Nach ca. drei Stunden Fahrt mit dem Motorboot durch eisiges Wasser und zwischen Eisschollen hindurch, erreichten wir endlich unser Ziel, die Laguna San Rafael. Der Anblick dieses gigantischen Gletschers über dem Wasser entschädigte uns mehr als genügend für die beschwerliche Anfahrt. Gut zwei Stunden beobachteten wir mit unserer kleinen, mehrheitlich aus Chilenen bestehenden Gruppe, die rege Aktivität des Gletschers vom Boot aus. Wir hatten Glück, denn einen strahlend blauen Himmel wie an diesem Tag trifft man am Gletscher offenbar nur selten an. Ein besonderes Spektakel bot sich dann, als sich eine riesige, azurblaue Eismasse aus dem Wasser erhob, die sich von unterhalb des Gletschers gelöst hatte. Nach einem exzellenten Mittagessen gab es noch Whisky, den wir aus einem Jahrtausende alten Eisblock schlürften. Es schmeckte vorzüglich ;-). Nachdem alle Mitreisenden etwa eine Million Selfies gemacht hatten, bei denen ab und zu auch der Gletscher im Hintergrund zu erkennen war, wurden wir auf dem Deck im kalten Fahrtwind sitzend zurück zu Don Jaime gefahren. Dieser beförderte uns danach wieder auf die andere Seite des Flusses, wo wir der Zivilisation schon ein kleines Stückchen näher waren.


Unsere weitere Route auf der Carretera Austral führte uns vorbei am mächtigen Cerro Castillo zum kleinen Städtchen Coyhaique und die umgebenden Nationalparks, wo wir die nächsten zwei Nächte verbrachten. Dort nahm dann unser Carretera Austral Abenteuer ein vorläufiges Ende und wir machten uns auf dem direkten Weg über Argentinien zurück nach Puerto Natales, um den Mietwagen rechtzeitig zurückzubringen und endlich in den Parque Nacional Torres del Paine aufzubrechen. Wir waren fasziniert von den landschaftlichen Schönheiten entlang der Carretera Austral und wussten, wir kommen wieder, um die Strecke fortzusetzen – dann aber von Norden her.


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