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Buenos Aires, Argentina

Tranquilo, tranquilo en Buenos Aires

Bald war es soweit! Nach zwölf Jahren Unternehmensbewertungen bei PwC, über drei Jahren PhD-Studium in London und ebenso langer Fernbeziehung würden wir uns den Traum einer langen Reise erfüllen. Erstmal wollten wir in die Berge Patagoniens reisen, der Rest würde sich dann schon ergeben. Es gab schliesslich so viel, das wir in Lateinamerika sehen und erleben wollten. Am 16. Januar 2017 verliessen wir das verschneite Zürich und Gonca verteidigte am Tag darauf in London erfolgreich ihr PhD. Danach buchten wir unsere Flüge und kamen am 20. Januar morgens bei angenehmen 30 Grad in Buenos Aires an. Froh darüber, dass in unserer globalisierten Welt auch in dieser urbanen Metropole Uber-Fahrer ihre Dienste anboten, liessen wir uns in unser Hotel im Stadtteil Palermo chauffieren.


Erstmal mussten wir uns an das “scho“ (yo) gewöhnen. So war das also in Argentinien, hier wird das "ll" oder "y" als "sch" ausgesprochen und so spricht der Argentinier zum Beispiel das Wort playa als “plascha“ aus. Es war eigentlich recht erstaunlich und beeindruckend, wie fliessend sich Patrick mit dem Uber-Fahrer auf Spanisch unterhalten konnte ;-). Nach dem Wechsel der Winter- auf Sommerkleidung machten wir uns sofort auf in die Stadt. Wir schlenderten durch die Strassen Palermos, gönnten uns da und dort einen kühlen Drink oder ein obligates "helado“. Dabei fiel uns aber vor allem eines auf: die Stadt, die Strassen und die Cafés waren sehr ruhig! Nichts von dem Glitzer & Glamour, den Gonca erwartete. Sie kannte Buenos Aires nämlich aus den lateinamerikanischen Reich-und-Schön Soap Operas, die sie sich als kleines Kind mit ihrer Mutter in der Türkei angeschaut hatte. Es war lustig, festzustellen, dass offenbar nicht nur in der Türkei lateinamerikanische Soap Operas laufen bzw. liefen, sondern auch umgekehrt. Immer wieder würden wir in den folgenden Wochen auf unserer Reise in Argentinien und Chile auf türkische Soap Operas mit spanischer Synchronisation stossen. Das geht angeblich soweit, dass Argentinier und Chilenen ihren Kindern türkische Namen geben, nämlich jene ihrer Serien-Helden, wie uns später jemand in Santiago erzählte.


Die nächsten Tage spulten wir das klassische Touristenprogramm in Buenos Aires ab. Am bekannten Friedhof La Recoleta trafen wir auf den jungen Politologiestudenten Nicolas, der sich auf das Thema der politischen Polarisation konzentrierte und uns auf eine Stadttour mitnahm, die er als eine politische Debatte verstanden haben wollte, eine "critical thinking tour“ wie er sagte. Auf dieser Tour haben wir von Nicolas viel über die Geschichte und aktuelle politische Situation in Buenos Aires und Argentinien erfahren. Wir lernten viel über die indigene Bevölkerung Argentiniens, die spanische Invasion wie auch über die Porteños, wie die Bewohner der autonomen Stadt Buenos Aires auch genannt werden. Es war bemerkenswert zu erfahren, dass Buenos Aires angeblich die weltweit höchste Dichte an Psychologen und Menschen in psychologischer Betreuung aufwies. Nicolas führte dies auf die turbulente Geschichte der Stadt zurück, mehr als auf die Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre. Wir erfuhren auch sonst viel über die Zeitgeschichte Argentiniens, die Peronistas, die Los Desaparecidos unter der Militärdiktatur der 70er Jahre sowie das Kirchner Regime. Auch haben wir erfahren, dass es in Argentinien vorteilhaft ist, den Begriff Islas Malvinas statt Falkland Islands zu benutzen. Obwohl die Bewohner der Inseln praktisch unisono britisches Territorium bleiben wollen, erneuert Argentinien jährlich seinen Anspruch auf die Inseln. Offenbar geht auch die andauernde Antipathie zwischen Argentiniern und Chilenen teilweise darauf zurück, dass sich Chile im Falklandkrieg auf die Seite der Engländer schlug.


Würde uns dieser kurze Einblick in die Geschichte Argentiniens helfen, die aktuellen Probleme des Landes mit der haushohen Inflationsrate von über 30% und der grossen Unzufriedenheit eines Grossteils der Bevölkerung zu verstehen? Vielleicht wurde es uns etwas verständlicher, aber in Wahrheit ist die politische Situation, die Geschichte des Landes und die aktuelle Situation rund um die Regierung von Mauricio Macri weit komplexer, als wir es in der kurzen Zeit in Buenos Aires begreifen konnten.


Die nächsten Tage verbrachten wir unter anderem im Stadtteil San Telmo, wo Gonca beim Anblick der Tango tanzenden Paare dahinschmolz. Feinster Argentine Tango, ganz nach Strictly-Manier ;-). Auch dem Stadion der Boca Juniors sowie dem bunten Stadtteil La Boca statteten wir einen Besuch ab. Und ja, wie konnte es anders sein, ein argentinisches Rind musste noch verspeist werden. Im übervollen Parilla-Restaurant Don Julio in Palermo, wo die Warteschlange bis zur Strasse reichte, haben wir ein exzellentes Nachtessen genossen.


Insgesamt haben wir Buenos Aires aber nicht so lebendig erlebt, wie wir uns das vorgestellt hatten. Im Gegenteil, oft fanden wir auf den Strassen, Plazas oder in der U-Bahn eine gähnende Leere vor, ganz anders als wir Santiago de Chile später erlebten. Wir fanden schliesslich raus, dass die Stadt im Sommer bzw. während den Sommerferien im Januar und Februar oft ruhig sei, weil die Porteños an die Küste fahren.


Wie auch immer, unser eigentliches Interesse galt ja auch mehr Patagonien als Buenos Aires. So buchten wir uns einen Flug nach El Calafate, dem Gateway für Patagonien. Am Flughafen stellten wir aber fest, dass unsere kurzfristige Buchung nicht bestätigt war und wir frühestens am nächsten Tag fliegen konnten. Das gab uns Zeit, zurück in die Stadt zu fahren und uns den modernen Stadtteil rund um den Schiffshafen Puerto Madero anzusehen. Später auf unserer Reise erfuhren wir, dass es in diesem Teil von Buenos Aires Wohnungen gibt, die monatlich mit 25‘000 US Dollar Miete zu Buche schlagen. Als Mieter kommen wohl vor allem weniger seriöse Berufsleute aus dem Sektor "narcotráfico" in Frage, wie uns erzählt wurde. Wir genossen jedenfalls einen ruhigen Nachmittag in Puerto Madera und fuhren spät am Abend mit dem lokalen Bus zum Flughafen. Nach wenigen Stunden Schlaf in der Wartehalle nahmen wir den ersten Flug des Tages nach El Calafate, um endlich die Weiten Patagoniens zu erleben.





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