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Choquequirao, Perú

Auf und ab

Vor vielen Jahren schon hatten wir von der sagenumwobenen Inka-Zitadelle Choquequirao hoch in den peruanischen Anden gelesen. Sie soll zu 60% bis 70% noch unter dickem Bergdschungel verborgen liegen und angeblich dreimal so gross sein wie Machu Picchu. Und erreichbar einzig über einen anspruchsvollen Mehrtages-Trek.


Nach dem Besuch des populären und menschenüberströmten Machu Picchu waren wir bereit, dieses ruhigere aber keineswegs weniger spannende Abenteuer in Angriff zu nehmen. Zudem hatte es Choquequirao gerade auf Platz 1 der Liste „Best in Travel 2017“ von Lonely Planet geschafft. Höchste Zeit also, die Ruinen zu besuchen, bevor die grossen Touristenströme einsetzen und vor allem, bevor die geplante Seilbahn gebaut wird. Wir wollten uns aber keiner der teuren, organisierten Touren anschliessen, bei denen Maultiere die Zelte die steilen Hänge hochschleppen und neben einem Guide sogar ein Koch und weitere Helfer mitlaufen. Wir suchten einzig einen lokalen Guide, der uns etwas über die Zitadelle und die Inka-Kultur erzählen konnte. Unser ganzes Gepäck würden wir auf ein Minimum beschränken und selber tragen, so wie wir das bisher immer gemacht haben auf unseren Treks. Zudem hatten wir gehört, dass man sich in den kleinen Dörfchen auf dem Weg auch mit lokalen Speisen versorgen kann, sodass wir uns auch das Schleppen von unseren Kochsachen ersparen konnten.


Mit etwas Glück konnten wir für den Bruchteil der üblichen Kosten den jungen Guide Cristian ausfindig machen. Dieser war gerade mal 21 Jahre alt und noch in der Ausbildung zum Touristenführer. Aufgewachsen war er in Marampata, dem kleinen Ort direkt unterhalb von Choquequirao, wo er als Kind oft gespielt habe, lange bevor die Besucherzahlen anstiegen. Später stellte sich dann heraus, dass fast die gesamte Dorfbevölkerung von Marampata Verwandte von Cristian waren und in allen Dörfern, die wir passierten, trafen wir seine Tanten, Onkel und Cousins an. Cristian kannte praktisch jeden auf dem Weg ;-).


Jedenfalls stattete uns Cristian nach unserer späten Rückkehr aus Machu Picchu gegen Mitternacht noch einen Besuch im Hostel ab, um den folgenden Tag zu besprechen. Wir waren zuerst etwas erstaunt über sein jugendliches Aussehen. Er war aber sehr professionell und schockierte uns dann, als er am nächsten Tag schon um 5:00 Uhr aus Cuzco aufbrechen wollte. Wir erklärten ihm, dass wir uns nach den Strapazen der letzten Tage noch etwas ausruhen müssten, worauf er 5:30 Uhr vorschlug :-). Wir einigten uns dann auf 10:00 Uhr wie vernünftige Erwachsene.


Wir mieteten am nächsten Morgen noch zwei Matratzen, besorgten etwas Proviant und machten uns pünktlich von der Inka-Hauptstadt Cuzco auf in das gut vier Stunden entfernte Capuliyoc, dem Ausganspunkt der Wanderung auf 2‘800 Metern. Unterwegs fuhren wir an imposanten Bergtälern vorbei, die Strassen wurden immer schlechter und die Dörfchen einfacher. Wir waren im ländlichen Perú angekommen und stellten mancherorts eine Armut fest, die wir so nicht erwartet hatten. Im Vergleich zu Cuzco oder Lima lag das Preisniveau um ein Vielfaches tiefer, so kauften wir etwa für 30 Rappen einen ganzen Sack Brötchen.


Nach der langen Fahrt, setzten wir am späten Nachmittag den ersten Fuss in Richtung Choquequirao, welches wir in der Ferne bereits schemenhaft erkennen konnten. Zwischen uns lag aber noch das tiefe Apurímac-Tal und rund 25 Kilometer Weg. Wir stiegen bis zum Einbruch der Dunkelheit gut 1‘000 Höhenmeter ab und schlugen unser Zelt in Chiquisca auf, wo Cristians Tante eine einfache Campsite betreibt. Ausser uns waren nur einige organisierte Touren vor Ort. Dank unseren Connections kochte Cristians Tante für uns leckere Spaghetti und Muña Tee, eine Art Minze, in ihrer einfachen Behausung. Wir freuten uns, dass wir uns nach dem Trek das übliche Kochen ersparen und gleichzeitig der Tante eine kleine finanzielle Unterstützung bieten konnten. Früh ging es dann zu Bett, denn am nächsten Tag wollten wir um 5:00 Uhr in der Früh aufbrechen, bevor die Hitze uns im steilen Anstieg einholte.


Zuerst stiegen wir weiter ab bis zum mächtigen Río Apurímac, der sich tief im Tal seinen Weg gesucht hatte und sich seinen Weg zum Amazonas bahnte. Vorbei an einer vom Steinschlag zerstörten Brücke ging es dann auf der anderen Seite des Tales im Zickzack-Kurs steil bergauf nach Marampata. Auf weniger als 6 Kilometern galt es 1‘300 Höhenmeter zu bewältigen und das Klima änderte sich von einer Talseite zur anderen von eher trocken zu tropisch. Cristian überraschte uns immer wieder, als er zu jeder Pflanze einen Namen wusste, wenn auch meistens nur deren Quechua Namen, seien es Muña, Bromelien oder die beim Zerquetschen rot leuchtenden Cochenillenläuse an den Kakteen. Er war eben hier aufgewachsen und kannte sich gut aus mit Flora und Fauna. Er brachte uns auch einige der Quechua basics bei, wie etwa „Sullpaiki“ (Danke) oder „Hakuchi“ (Auf geht’s), womit er uns nach unseren kleinen Verschnaufpausen, weiter den Berg hoch zu laufen motivierte.


Komplett durchgeschwitzt kamen wir noch am Vormittag im Elternhaus von Cristian an, wo wir von seiner Mutter lecker bekocht wurden und eine eiskalte Dusche „geniessen“ durften. Als Dessert gab es dann frisch gepflückte Pfirsiche durch Alex, dem kleinen Neffen von Cristian. Dieser war gerade zu Besuch bei seiner Mutter am schulfreien Wochenende. Denn unter der Woche wohnt er in der Stadt Cachora, wo er zur Schule geht, und von seinem Vater gepflegt wird, wie auch Cristian zu seiner Schulzeit. Zur Schule gehen bedeutet hier oft die Trennung von Familie und vom Heimatdorf.


Strom gibt es in Marampata ebenfalls keinen, gekocht wird mit Gas oder dem Holzofen. Die Gastfreundschaft und Offenheit uns gegenüber hat uns überwältigt und wir waren dankbar, ein exzellentes lokales Linsengericht verzehren zu dürfen. Was in Marampata nicht im eigenen Garten wächst, muss mühevoll mit Maultieren mehrere Stunden herangeschafft werden. So wurden wir auch etwa Zeugen, als ein älterer Tourist sich ein Bier bestellte und sich dann über den hohen Preis und die fehlende Kühlung beschwerte. Wir fanden das einfach ignorant und beschämend.


Nachdem wir unser Zelt im Garten der Mama Franziska aufgestellt hatten, brachen wir am frühen Nachmittag auf in Richtung Choquequirao. Es mussten nochmal einige Höhenmeter bewältigt werden, bevor wir endlich die eindrücklichen Ruinen auf über 3'000 Metern zu Gesicht bekamen. Die meisten Inka-Stätten wurden durch die Spanier ab 1532 zerstört, ihre Bewohner gequält und schliesslich getötet. Die gewaltigen Inka-Bauwerke bzw. Teile davon wurden oft wiederverwendet, indem entweder neue Bauwerke wie etwa Kirchen direkt darüber errichtet wurden oder die Steine weggeschleppt und andernorts für Bauten eingesetzt wurden. Die meisten Inka-Stätten wurden daher zerstört oder sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zwei Stätten, welche die Spanier glücklicherweise nie gefunden haben und daher sehr gut erhalten geblieben sind, sind Machu Picchu und Choquequirao. Die Ankunft auf dem Hauptplatz war überwältigend, als sich vor uns ein grosses, menschenleeres Grün auftat und dahinter im Nebel riesige mehrstöckige Inka-Bauten sichtbar wurden. Cristian führte uns auf dem Hauptplatz, den einzigartigen Llama-Terrassen und dem heiligen Platz herum und gab sein Wissen zum Besten. Derweil kreisten mächtige Kondore über uns.


Choquequirao wurde vermutlich wie Machu Picchu (1450) im 15. Jahrhundert errichtet. Allerdings ist die verwendete Technik rustikaler und es fehlen die für Machu Picchu und andere Inka-Stätten feingearbeiteten Steinmauern, bei denen kein Blatt zwischen die einzelnen Steine passt. Ansonsten sind sich die beiden Inka-Zitadellen ähnlich und bestehen beide aus Terrassen, Plattformen, Zeremonialstätten, Tempeln, Treppen und anderen Bauwerken. Auch gibt es weitverzweigte Wasserkanäle, über die frisches Wasser über viele Kilometer kanalisiert wurde. Der genaue Erbauungszweck ist für Choquequirao wie auch für Machu Picchu bis heute nicht geklärt. Verschiedene Theorien gehen von religiösen Zentren bis zu politischen und ökonomischen Knotenpunkten wie auch Königsresidenzen aus. Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass die Nobleza in den beiden Festungen wohnte und einfachere Mitglieder der Inkas nur zu deren Unterstützung anwesend waren. Choquequirao wurde vermutlich im 16. Jahrhundert verlassen, nachdem die Spanier sich in Perú ausgebreitet hatten. Die indigene, lokale Bevölkerung hatte aber immer Kenntnis von der Festung, darüber hinaus war diese allerdings bis 1909 kaum jemandem bekannt. Weil die Inkas keine eigentliche Schrift kannten, gibt es zu den Gründen des Verlassens vor allem viele Spekulationen. Mit der Ermordung des Grossteils der Bevölkerung verschwand auch unwiederbringlich das Wissen der Inka-Kultur.


„Wiederentdeckt“ wurde Choquequirao durch Hiram Bingham, einen amerikanischen Akademiker für südamerikanische Geschichte an der Yale Universität, Entdecker und später auch Politiker. Dieser erlangte insbesondere ab 1911 weltweit Bekanntheit, als er Machu Picchu mit einer National Geographic Reportage einem weltweiten Publikum zugänglich machte. Obwohl der Name Bingham zwangsläufig fällt, wenn von Choquequirao oder Machu Picchu die Rede ist, wird seine Person in Perú nicht sonderlich hochgeschätzt, da er einerseits tausende Gegenstände in die USA mitnahm, wo sie trotz vielfacher Rückforderung Perús mehrheitlich heute noch sind. Andererseits ist es vielen ein Dorn im Auge, dass er als (Wieder)Entdecker von Machu Picchu oder Choquequirao gilt, obwohl die Stätten der lokalen Bevölkerung stets bekannt waren. Nichtsdestotrotz waren seine Reisen durch den dichten Bergdschungel eine grosse Leistung und sind spannend nachzulesen in seinem Buch „Lost City oft the Incas“ aus dem Jahr 1948.


Gegen Abend kehrten wir wieder zurück nach Marampata und genossen ein leckeres Abendessen, bevor wir eine regenreiche Nacht im Zelt hinter uns brachten. Am nächsten Morgen besichtigten wir den grossen Garten von Cristians Familie. Von verschiedensten Kartoffeln, Quinoa, Mais, Riesenkürbissen bis zu allen möglichen für uns exotischen Früchten gedeiht fast alles in 3‘000 Metern Höhe. Wir sahen den Granadillo Baum, eine Frucht, die wir erst kürzlich in Perú kennen und lieben gelernt hatten. Und freuten uns auch die Quinoa Pflanze zu sehen, deren Samen wir doch regelmässig zu Hause konsumierten ohne auch nur eine Vorstellung vom Aussehen dieser in pink blühenden Pflanze zu haben. Wir ernteten Mais und anderes Gemüse und kehrten damit in die Küche von Franziska zurück, die uns dann ein typisches Mittagessen kochte, einfach lecker. Abgerundet wurde das Ganze durch ein Glas hausgemachte chicha de jora, dem typischen, selbstgebrauten Maisbier.


Am Nachmittag bewältigten Cristian und Gonca den steilen Abstieg zurück in Richtung Chiquisca. Patrick war aber so begeistert von Choquequirao, dass er sich den Aufstieg ein zweites Mal antat, um die Zitadelle erneut zu besichtigen und traf dann erst im Dunkeln in Chiquisca ein. Am nächsten Morgen legten wir wieder früh los, um die bevorstehenden 1‘000 Höhenmeter ohne grosse Hitze hinter uns zu bringen. Leider gelang es uns nicht ganz, der Hitze zu entkommen und immer wieder hörten wir die Hakuchi-Rufe unseres jungen fitten Guides. So kamen wir müde und zufrieden um 10:00 Uhr am Ausganspunkt an, wo schon unser Taxi mit dem sportlichen Fahrer Carlos wartete und uns zurück nach Cuzco brachte, wieder einmal mit ganz viel Huayno Musik ;-).


Der Ausflug nach Choquequirao und die einmaligen kulturellen sowie botanischen Einblicke waren ein unvergessliches Erlebnis. Auch die lange und strenge Wanderung fanden wir erfüllend, mit der man sich Choquequirao richtiggehend verdienen muss. Im Gegensatz zu Machu Picchu besteht der Reiz von Choquequirao darin, dass nur wenige Leute die Strapazen auf sich nehmen. Dies könnte sich aber schon bald ändern, da es wie erwähnt Pläne für eine Seilbahn gibt, welche täglich bis zu 3‘000 Leute nach Choquequirao bringen soll, d.h. mehr als die täglichen 2‘500 Besucher von Machu Picchu. Wir, wie auch die lokale Bevölkerung mit der wir gesprochen haben, fänden es besser, wenn dieses Vorhaben nicht umgesetzt wird und stattdessen ein Tourismus gefördert wird, von dem die lokale Bevölkerung profitiert und der die Magie dieses Ortes bewahrt.


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