Nach drei Monaten in Argentinien und Chile ging unsere Reise weiter in den Norden nach Perú mit unseren neuen und schon wieder gut über 20 Kilogramm wiegenden Rucksäcken, vor allem aber wegen unserer Campingausrüstung, die uns nach dem Diebstahl mehrheitlich geblieben war. Am offiziellen Taxistand am Flughafen wurden wir gleich mit einem Freundschaftsangebot willkommen geheissen. Man wollte uns nämlich für stolze 120 Soles (40 Franken) in den Stadtteil Miraflores fahren. Wir winkten freundlich ab und bekamen draussen dieselbe Strecke nach nur kurzem Verhandeln von 90 auf 50 Soles gesenkt, was also nur drauf schliessen lässt, dass wir noch immer genug gezahlt haben. Wir waren also wieder in einem Land angekommen, wo das Feilschen an der Tagesordnung war. Ganz anders noch als in Argentinien und Chile, wo die Preise kaum verhandelbar sind.
Mit dem Taxifahrer konnten wir uns sofort in gewohnter Manier auf Spanisch unterhalten, wohl einer der wenigen Vorteile des regen Treibens der spanischen Conquistadores auf dem südamerikanischen Kontinent, zumindest aus unserer Sicht. Die Konversation fiel uns sogar deutlich einfacher als zuvor in Chile. War unser Spanisch nach dem dreistündigen Flug plötzlich so viel besser geworden oder lag es einfach nur daran, dass die Peruaner ein für uns klareres Spanisch sprachen? In den nächsten Tagen sollten wir feststellen, dass Zweiteres der Fall war. Noch etwas war auffallend anders in Lima als noch in Santiago: mehr Verkehrsbelastung und mehr Smog.
Dafür haben die Peruaner den ständig grauen Himmel in Lima mit ihrer auffallenden Herzlichkeit mehr als wettgemacht. Die Peruaner verwenden gerne für Vieles den Diminutiv, wie wir feststellten. Wir fanden es nett, dass zu unserem Ceviche eine „aguacita“ oder „Coca Colita“ angeboten wurde. Wir haben jedoch meistens die „Cusqueñita“, die peruanische cerveza, bevorzugt ;-). Ja, von Ceviche, einem unserer Lieblingsspeisen, konnten wir in den wenigen Tagen, die wir in der Metropole verbrachten, gar nicht erst genug kriegen. Jeden Abend gab es Ceviche, selbstverständlich das Original mit camote (Süsskartoffel) und choclo (Mais).
Da Patrick schon einige Jahre zuvor den Süden von Perú intensiv bereist hatte und auch den Inka-Trail gelaufen war, der in Machu Picchu endet, hatten wir eigentlich vor, direkt in den Norden von Perú, insbesondere in die Dschungelstadt Iquitos zu reisen. Aber konnte man wirklich nach Perú kommen und Machu Picchu auslassen? Massentourismus hin oder her, Machu Picchu mussten wir einfach beide gesehen haben. Schliesslich war es für Gonca seit dem Teenager-Alter ein Traum, einmal in diese Inka-Stadt zu reisen. Wir stellten also unseren Reiseplan von Nord auf Süd um und buchten einen günstigen Flug nach Cuzco, der Inka-Hauptstadt und dem Gateway für Machu Picchu Exkursionen. Der Anflug war spektakulär: Vorbei ging es an imposanten Gipfeln der Andenkette in Richtung der Landebahn, die mitten in der Stadt liegt. Cuzco hat ein sehr schönes koloniales Zentrum mit seinem Plaza de Armas. Vor allem hat uns auch der Mercado San Pedro mit seinem vielfältigen Angebot an frischen Waren sehr gut gefallen. Ob das Ceviche allerdings auch so frisch war, wagen wir nach dessen Spätfolgen zu bezweifeln.
Zudem wurde Gonca gleich von zwei Fakten über Cuzco überrascht, die sie so nicht erwartet hatte. Erstens ist Cuzco nicht etwa ein kleines Anden-Dorf, sondern eine der grössten Städte in Perú mit ca. 800‘000 Einwohnern. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Stadt auf 3‘400 Metern befindet, also einer Höhe, die manchen Berg bei uns deutlich übersteigt. Das erklärte auch, warum wir bei dem kurzen Aufstieg zu unserem Hostel mit dem Gepäck dermassen ausser Atem gerieten. Der gleich bei der Ankunft offerierte Coca-Tee sollte Abhilfe verschaffen.
Zweitens liegt Cuzco nicht gerade am „Fusse“ des Machu Picchu, obwohl es die Ausgangsbasis für dessen Besuch ist. Auch wenn die alte Inka-Stadt nur ca. 150 Kilometer von Cuzco entfernt liegt, ist es doch ein beschwerlicher Weg dahin. Nicht zuletzt deshalb hatte es bis 1911 gedauert, dass die weitgehend von der Vegetation überwucherte Ruine durch den US-amerikanischen Historiker Hiram Bingham einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. So mussten wir erstmal sechs Stunden Bus fahren bis nach Hydroelectrica, wo der Bus teilweise recht nahe am Abgrund die kurvige Strecke überwand. Von dort erreichten wir nach weiteren zwei Stunden Fussmarsch entlang der Eisenbahngleise Aguas Calientes. Und erst eine weitere halbe Stunde Busfahrt bergauf sollte uns schliesslich nach Machu Picchu bringen. Es gäbe auch eine zwei Stunden kürzere Variante Aguas Calientes zu erreichen, indem man den Zug nimmt von Ollantaytambo aus. Sie kostet aber viel mehr und wird daher nicht gerade von Backpackern gewählt.
Machu Picchu erfreut sich bekanntlich einer grossen Beliebtheit und entsprechend muss man sehr früh sein, um den Menschenmengen halbwegs zu entkommen. So stellten wir uns am nächsten Morgen schon kurz nach halb fünf in der langen Schlange zum Bus an, die sich bereits vor unserer Ankunft gebildet hatte. Die Zeit in der Warteschlage verging glücklicherweise aber rasch, denn wir hatten mit dem Berliner Pärchen Christina und Martin nette Gesprächspartner gefunden.
Oben angekommen präsentierte sich uns das klassische Bild der Inka-Zitadelle mit dem imposanten Huayna Picchu im Hintergrund. Dieser Anblick war die lange Reise sowie das frühe Aufstehen allemal wert. Machu Picchu begeisterte uns mit seinen grünen Terrassen und den präzise aufeinander abgestimmten grossen Gesteinsbrocken. Es ist heute schwer vorstellbar, wie die Inkas eine Organisation erschaffen haben, welche es ihnen erlaubte, solche grossen Gesteinsbrocken zu bearbeiten und zu bewegen und Bauwerke dieser Grösse zu schaffen. Auch wenn die Fertigkeiten der Inkas zum Zeitpunkt der Eroberung durch die Spanier ab 1532 wohl etwa jenen des Bronzezeitalter entsprachen, so verfügten sie doch über eine sehr fortschrittliche Organisation und mit dem weitverzweigten Wegenetz (Inka Trails) über eine ausserordentlich leistungsfähige Infrastruktur. Unser Guide erklärte uns, dass die Stadt zu ihrer Blütezeit etwa 500 Menschen beherbergte. Es ist bis heute unbekannt, warum die Stadt im 15. Jahrhundert so abgelegen im Bergdschungel erbaut wurde. Es bestehen lediglich verschiedene Theorien über den Sinn und Zweck dieser besonderen Stätte, die von den spanischen Conquistadores nie gefunden wurde. Die gängigste ist heute, dass es ein Rückzugsort des Inka-Führers Pachacutec war, der nach seinem Tod aufgegeben wurde. Da die Inkas aber über keine Schrift wie wir sie kennen, verfügten, werden wir dies nie sicher wissen. Hingegen hatten die Inkas mit den sogenannten Quipus, einer Knotenschrift, eine Art schriftliche Dokumentation. Dieses Schriftsystem basierte auf Knoten, welche in lange Schnüre geknüpft wurden. Diese können aber leider bis heute nicht abschliessend gedeutet werden.
Auf unserer Erkundungstour durch die Inka-Stätte trafen wir auch auf eine vom Park angestellte Biologin, die uns erklärte, dass die vielen Umwelteinflüsse den Ruinen stark zusetzten. Angefangen beim Wetter und schliesslich auch durch die Besucher, die sich etwa in den Ruinen mit Sonnencreme besprühen oder trotz Verbot Esswaren verzehren. All die Einflüsse auf das Gestein, die dadurch entstehen, werden seit einigen Jahren systematisch erforscht, erklärte uns die Biologin, die sich auf die Mikrofauna zwischen den Steinen spezialisiert hatte. Machu Picchu leidet deutlich unter den Folgen der vielen Besucher. Die UNESCO, welche die Stätte 1983 zu einem Weltkulturerbe erklärte, hat mit Perú eine maximale tägliche Besucherzahl von aktuell 2‘500 festgelegt. Durch den dramatischen Anstieg der Besucherzahlen wurde dieser Wert aber ab 2011 mehrmals überstiegen und in 2012 besuchten erstmals über eine Million Menschen Machu Picchu. Heute ist in der Hauptsaison ein Besuch nur noch entweder vormittags oder nachmittags möglich.
Wir erkundeten bis am Mittag die Ruinen sowie die alte Inka-Brücke (Puente del Inca) und machten uns dann auf den mehrstündigen Fussmarsch in Richtung Hydroelectrica, wo uns unser Reisebus schon erwartete. So verbrachten wir weitere sechs Stunden mit der Huayno Musik aus den Anden im Bus. Bei allem Respekt und aller Offenheit, die wir anderen Kulturen gegenüber aufbringen, mit dieser omnipräsenten Musik konnten wir uns nicht so recht anfreunden :-).
Bekanntlich hat Perú aber noch viel mehr zu bieten als Ceviche und Machu Picchu. Also, auf geht’s! Oder „Hakuchi“, wie es auf Quechua, der Sprache der indigenen Bevölkerung, so schön heisst, wie wir später in Choquequirao lernten.