Endlich! Nach einem zweiwöchigen „Umweg“ in den Norden und mit fünf der sieben nötigen Zeltplatzreservationen in der Tasche, brachen wir von Puerto Natales in aller Früh zur Laguna Amarga auf. Wir waren am Ausgangspunkt unseres achttägigen Rund-Treks in den Bergen des Torres del Paine angekommen. Eine Woche Selbstversorgung in den Bergen stand uns bevor, Natur pur und Einsamkeit sozusagen. Das war aber nur unsere Vorstellung, die Realität sah manchmal anders aus.
Das Torres del Paine Gebiet ist nun einmal eine der Hauptattraktionen von Chile und der Anstieg zu den namensgebenden drei Türmen lockt im patagonischen Sommer zahlreiche Touristen an, auch wenn der Anstieg nicht gerade ein Sonntagsspaziergang ist, wie wir fanden. So war die Abfertigung der Menschenmassen am Eingang des Nationalparks, die in Scharen mit Bussen herangekarrt wurden, erstmal etwas abschreckend. Beim obligaten Briefing ging es den Parkverantwortlichen neben dem Kassieren des Parkeintritts vor allem um eines: das Vermeiden von offenem Feuer im Park. Seit vor einigen Jahren angeblich ein Tourist ein grosses Feuer im Park entfacht hat, bei dem ein grosser Teil des westlichen Parks zerstört wurde, ist man diesbezüglich richtigerweise besonders strikt. Wer im Park beim Feuermachen erwischt wird, wird aus dem Park verwiesen und angezeigt. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu erwähnen, dass sich der südliche Teil des Parks in Familienbesitz befindet. Folgende Geschichte, die uns vom lustigen Bill, einem Tour-Operator, erzählt wurde, demonstriert den Einfluss von Geld in Chile: Nach dem verheerenden Feuer in 2012 erklärte die Regierung den Ausnahmezustand und ordnete die Schliessung des Parks an, bis das Feuer vollständig unter Kontrolle war. Ein Anruf durch die Familie bei der Regierung reichte offenbar aus, dass am nächsten Tag der südliche Sektor des Parks wieder für die Touristen zugänglich war.
Im Besuchercenter angekommen, verteilten sich die Massen sehr schnell, denn der grösste Teil wanderte direkt zur Hauptattraktion, den Torres. Dies sind einerseits Tagestouristen sowie jene, die dann westwärts weiterziehen, um den sogenannten W-Trek zu machen, quasi die untere, südliche Hälfte des O-Treks. Nur ein geringer Teil wählte den östlichen Weg, um den gesamten O-Trek zu gehen. Nach einer halben Stunde Wandern waren wir sogar ganz alleine auf dem Weg, bis sich kurz vor dem ersten Campingplatz, dem Camping Serón, ein sehr geselliger, redegewandter pensionierter amerikanischer Mathe-Professor, Mark, zu uns gesellte. Marc, ein wahrer Outdoor-Freak, erzählte uns sogleich seine ganze Lebensgeschichte mit seiner direkten amerikanischen Art, angefangen bei seiner veganen Ernährung bis hin zur Hochzeit seiner Tochter in Quito und seinen einsamen Abenteuern im Yosemite Nationalpark. Bei diesen Geschichten fehlte nur noch der Kampf mit den Bären. Patrick war er anfangs so sympathisch, dass er sich an jenem Tag sogar freiwillig und erstmalig zum Geschirrabwaschen meldete, um den spannenden Geschichten zumindest zeitweise zu entkommen. Dies änderte sich dann aber rasch und der sympathische Mark eroberte unsere Herzen im Sturm.
Wir verbrachten einen lustigen Abend in bester Gesellschaft am Camping Serón. Gesprächsthema war immer wieder das mühsame Reservationssystem und kaum einer hatte alle nötigen Reservationen beisammen. Einzig die Chilenen schienen alle Reservationen komplett zu haben, sowie auch Mark, der sich auf seine schlaue Art ein Freipass für den Park verdient hatte: Nachdem er im ersten Campingplatz oben bei den Torres stundenlang freiwillig die Küche geschrubbt hatte, wurde ihm vom Park-Ranger ein persönlicher, handgeschriebener Freibrief ausgestellt.
Nach dem delikaten Snickers-Porridge-Frühstück, unserer Neukreation des Jahres, ging es am zweiten Tag weiter zum Camping Dickson. Auf dem Weg lernten wir bald Jess und Turtle kennen – ein sehr reiselustiges Paar aus Colorado, mit denen wir uns gleich super verstanden. Am Ende des Tages machten sich die Schultern dann langsam bemerkbar und auch die Hüften schmerzten, so dass wir den Rest des verregneten Tages im Zelt mit Lesen verbrachten. Wir sind es ja gewohnt, viel und steil zu laufen, aber eigentlich selten mit so viel Gepäck. Wir mussten unseren ganzen Proviant für acht Tage, Zelt, Schlafsack, Gaskocher, Kleidung, Paedi‘s Riesenkamera of course... die Berge hochschleppen. Trotz intensiver Bemühungen, alles ultra-light zu halten, kam da so einiges zusammen und wir trugen wohl zusätzlich etwa 25% unseres Körpergewichts auf dem Rücken. Aber mit der Zeit gewöhnten wir uns daran, im Gegenteil, es kam uns sogar komisch vor, wenn wir die Rucksäcke am Ende des Tages abstellten. Zudem frassen wir uns bzw. die Rucksäcke täglich leichter ;-).
Insgesamt genossen wir die Wanderung und die Gesellschaft unserer Wanderkollegen sehr, trotz der vielen anderen Zelte um uns herum. Es war einfach unbeschreiblich, in diesen spektakulären Landschaften einzuschlafen und aufzuwachen. Ein besonderes Highlight war sicherlich, wie wir nach mühevollem Anstieg auf den Paso John Gardener im ärgsten Regen bzw. Schnee, das riesige Eisfeld des Grey Gletschers zum ersten Mal erblickten und sich später ein Regenbogen darüber bildete. Dieser riesige ausgedehnte Gletscher sollte uns noch lange begleiten auf unserem Weg, denn wir wanderten seiner Flanke nach weiter. Dank dem kommunikativen Mark wuchs unsere O-Trek Familie stetig und mittlerweile hatten wir die Geschichte von Marks Entscheidung zum veganen Leben sicher schon zehnmal gehört, und zwar auf englisch wie american-spanglish :-). Als die neu dazu gestossenen Chilenen von ihren überzähligen Reservationen erzählten, da einige ihrer Freunde kurzfristig ausgefallen waren, löste sich unser Reservationsproblem. Wir bekamen die Möglichkeit, den Rund-Trek zu vervollständigen und mussten den Park am Paine Grande nicht vorzeitig mit dem Katamaran verlassen. Ohne Reservationen wären wir nicht eitergekommen, die Kontrollen waren in diesem Teil des Parks wirklich streng.
Als wir auf den südlichen Teil des Parks, dem W-Trek stiessen, wurde es schnell dichter und ständig liefen uns Leute entgegen. Auch die Campingplätze füllten sich mit wohl bis zu 100 Zelten. Es ist also gut verständlich, dass hier eine Regulierung nötig ist, aber vielleicht mit einem besser organisierten Reservationssystem wie wir finden. Die Landschaften waren im südlichen Teil angeblich spektakulärer. Mit all dem Regen und den tief hängenden grauen Wolken können wir das leider nicht bestätigen. Wir hatten trotz des teilweise schlechten Wetters eine super Zeit und die Nächte wurden gegen Ende der Wanderung immer länger mit reichlich Bier und Wein, das es an den Campingplätzen zu kaufen gab. So gesehen hatte der vielbewanderte touristische Südteil des Treks auch seine Vorzüge. Wir hatten einander richtig lieb gewonnen, so dass uns der Abschied schwer fiel, denn die ersten unserer Wanderfamilie verliessen den Park bereits.
Nach einer weiteren verregneten Nacht rannten wir praktisch zu den Torres hinauf, dem i-Tüpfelchen dieser Wanderung und freuten uns sehr, als sich oben die Wolken lichteten und den Blick auf die majestätischen Türme freigaben. Mit hunderten anderer Wanderer genossen wir diese einzigartige Aussicht. So war es dann Zeit, wieder nach Puerto Natales zurückzukehren, wo wir im Hotel erstmal alles zum Trocknen ausbreiteten und einen Tag das Nixtun genossen. Wir waren so hungrig, dass wir fast das gesamte Frühstücksbuffet alleine leerräumten. Ihr könnt euch vorstellen, wie wir uns am nächsten Abend über das feine Essen im Restaurant Afrigonia freuten, nach acht Tagen Snickers-Porridge zum Frühstück und Pasta mit Fertig-Sauce zum Abendessen ein noch viel grösserer Genuss.
Fazit dieses Treks: 130 Kilometer in acht Tagen, sieben konsekutive Nächte im Zelt, mucha lluvia und unvergessliche Landschaften sowie tolle Bekanntschaften mit hoffentlich anhaltenden Freundschaften. Würden wir den Trek mit dem mühsamen und unflexiblen Reservationssystem wieder machen? Definitiv! Das einmalige Naturerlebnis in der Wildnis war es sicherlich nicht, aber umso mehr genossen wir die soziale Komponente diesen Treks. Die Zeit an den Torres, die spektakulären Aussichten und lieben Menschen, die wir auf dem Weg getroffen haben, wollen wir auf keinen Fall missen.
Reihenfolge unserer Campings: 1. Serón, 2. Dickson, 3. Los Perros, 4. Grey, 5. Paine Grande, 6. Frances, 7. Central.
Comments